Eine Entwicklungspädagogik schließt eine Didaktik mit ein, die sich an der möglichst optimalen Entfaltung des Kindes orientiert, die je konkreten Lebensverhältnisse des Kindes miteinbeziehen kann und dem Postulat verpflichtet ist, dass sich Schule in ihrer konkreten Gestaltung an den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes orientiert und gleichzeitig in der Gestaltung des Schullebens demokratischen Grundregeln verpflichtet ist. Dabei können wir von einem ganzheitlichen Lern- und Bildungsverständnis ausgehen, für das uns die Reformpädagogik sehr wohl aus „Ausgangsform“, wie Peter Petersen dies formuliert hat, dienen kann. (Eichelberger, Harald & Wilhelm, Marianne: Entwicklungsdidaktik, Wien 2003)
Harald Eichelberger
Entwicklungsdidaktik
Alte Ideen – neues Denken
Lehren beginnt nicht mit dem Vortragen geheiligter Wahrheiten, sondern mit dem Schaffen von Gelegenheiten, die den Schülern Anlass zum Denken geben. – Die Vorbedingung dafür ist, dass man Schülern die Fähigkeit zum Denken zuschreibt.
Ernst von Glasersfeld
Aktives, selbsttätiges und selbst bestimmtes Lernen kann als Kontrapunkt gegen die Charakteristika der Lernkulturen in unseren Bildungs- und Ausbildungsinstitutionen gesehen werden: Dort ist nach wie vor – mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen in der Grundschule und ganz wenigen Ausnahmen im Bereich der Sekundar-I-Schule – eine frontalunterrichtliche Form des Lehrens und Lernens vorherrschend, durch die die Aktivität der Lernenden auf zumeist nach- oder mitvollziehendes Tun reduziert wird.[1]
Eine Lernkultur des vorwiegend lehrerbestimmten und frontal durchgeführten Lehrens und Lernens gerät in einen unüberbrückbaren Gegensatz zur Subjektivität und zur Persönlichkeitsentwicklung des Lernenden, häufig mit den Folgen der inneren Kündigung der Lernenden und einer skandalös geringen Nachhaltigkeit des Lernens. Ein wesentlicher Grund für dieses Nachhaltigkeitsdefizit kann mit Einschränkung in einer Universalisierung der so genannten Lehr-Lern-Illusion gesehen werden: „Gelernt werde, was gelehrt wird.“[2] Doch gerade das Gegenteil ist der Fall. Was lehrerorientiert und großteils frontal an Inhalten gelehrt wird, wird kaum gelernt und wenn, dann wieder schnell vergessen, da es nur selten in einer lebensbedeutenden Beziehung zum Lernenden steht. Fatalerweise wird gleichzeitig ein Lernbewusstsein (und Selbstbewusstsein) im Lernenden aufgebaut, dass schulisches Lernen (immer) fremdbestimmt zu sein hat. Der lebensnotwendige Prozess des Lernens geht im Bewusstsein des Lernenden nicht vorwiegend von seinen Entwicklungs- und Lernbedürfnissen aus. Aktives, selbsttätiges und selbst bestimmtes Lernen stellt hingegen die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und die Entwicklung der Sozialität der Lernenden in den Mittelpunkt schulischer Lehr- und Lernsituationen. Durch die Realisierung von persönlichkeitsorientierten Konzepten des „aktiven“ Lernens kann die derzeitige Schule eine notwendige Ergänzung erfahren, die für eine Weiterentwicklung im Sinne einer pädagogischen Professionalisierung unerlässlich erscheint.
Es sind vor allem die Konzepte der Reformpädagogik, der humanistischen Psychologie, des Konstruktivismus, der Systemtheorie, … die uns Grundlagen bieten für didaktische Konzepte des aktiven, selbst bestimmten und selbsttätigen Lernens. Als vorrangige Lern- und Bildungsziele können nach individuellen Maßgaben
– die Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen,
– die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung,
– das Verstehen von Zusammenhängen,
– die Bereitschaft zu verantwortlichem und moralischem Handeln,
– die Fähigkeit zur friedlichen und demokratischen Konflikterkennung und Konfliktlösung,
– die Fähigkeit zu Toleranz und Solidarität und
– die Fähigkeit der Entdeckung des Gemeinsamen als Möglichkeit kultureller Bereicherung gelten.
In gleicher Weise strebt Bildung die Kooperationsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit und Solidaritätsfähigkeit des in einer Demokratie lebenden, lernenden und sich entwickelnden Menschen an. So verstandenes Lernen muss in seinem Kern entdeckendes bzw. nachentdeckendes und sinnhaftes, verstehendes Lernen sein, dem die nur reproduktive Übernahme von Kenntnissen und alles Trainieren, Üben und Wiederholen von Fertigkeiten eindeutig nachgeordnet ist, zwar als notwendige, aber nur vom verstehenden und entdeckenden Lernen her begründbare Elemente. Soll Lehren Hilfe zu einem so verstandenen Lernprozess sein, so muss es selbst für Lernende und in zunehmendem Maße mit ihnen zusammen – eben im Sinne des Selbstbestimmungs- und Solidaritätsprinzips – diskursiv gerechtfertigt und geplant werden:
– In der Form der Mitplanung des Unterrichts seitens der Lernenden,
– durch Unterrichtskritik mit den Lernenden und/oder
– durch Unterricht über Unterricht.
Das sind Elemente, die heute auch bereits in sogenannten „aktiven Schulen“ (active learning) bzw. ebenso im „schülerorientierten Unterricht“ diskutiert und verwirklicht werden.
So verstandener Unterricht wird als Interaktionsvorgang verstanden und ist immer auch ein sozialer Prozess; das bedeutet auch, dass das ohnehin sich vollziehende soziale Lernen bewusst und zielorientiert, im Sinne einer demokratischen Sozialerziehung, auch in die Zielbestimmungen des Unterrichts und in die Unterrichtsplanung einbezogen werden wird. Grundlagen für die Entwicklung eines Unterrichts mit den oben genannten Perspektiven finden wir in den Konzepten der Reformpädagogik. Dazu W. Klafki: „Wer sich in der Reformpädagogik einigermaßen auskennt, stellt fest, dass der größte Teil heutiger Initiativen für innere Schul- und Unterrichtsreformen direkt oder indirekt auf Ideen der Reformpädagogik des ersten Jahrhundertdrittels zurückgeht oder als Wiederentdeckung solcher Ideen anzusprechen ist.“[3]
Wer die Trends europäischer Schulentwicklung beobachtet und verfolgt, wird feststellen, dass die Realisierung eines einzelnen reformpädagogischen Konzeptes als solches kaum mehr Priorität besitzt. Vielmehr steht die Nutzung der Ideen der Reformpädagogik zur Kreation eines neuen, aktuellen und modernen schulischen wie auch außerschulischen pädagogischen Konzeptes im Mittelpunkt des Interesses von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schülern. Damit wird ein Bildungsverständnis in den Vordergrund gerückt, das die Persönlichkeitsbildung bzw. die „proportionale Ausbildung aller Kräfte“ in den Vordergrund rückt, wie auch jene Kompetenzen, die entwickelt sein müssen, damit Individuen, Gruppen sowie Organisationen zu Selbststeuerung und Selbstorganisation fähig sind (Methodenkompetenz).
Selbststeuerung und Selbstorganisation in Lehr-Lernprozessen – und das ist eine wiederholt diskutierte paradoxe Grundstruktur pädagogischen Handelns – bedürfen einer professionellen Fremdorganisation, wie auch des kritischen Blickes auf die gesellschaftlichen Bedingungen und einer kritischen Analyse dessen, was da selbstorganisiert gelernt und erarbeitet wird. Die in der Folge dargestellten reformpädagogischen Richtungen können
– als Gegenkonzepte zur Lehr-Lern-Illusion,
– als didaktisch begründete und erprobte Konzepte der „proportionalen Ausbildung aller Kräfte des Lernenden“ und
– als Konzepte der Unterrichts- und Schulentwicklung gesehen werden.
Reformpädagogik war und ist eine europäische Bewegung. Im Zentrum reformpädagogischen Denkens stand und steht die kulturkritische Auseinandersetzung mit den bestehenden – in nationaler Enge verkrusteten – Bildungssystemen, insbesondere mit einer Schule, die als Lern-, Lehrer- und Wissensschule in ihrer Einseitigkeit, ja Eindimensionalität, den jungen Menschen nicht als Ganzheit seiner Vielfältigkeiten auffasste und auffasst, ihn nicht im Sinne Pestalozzis als Wesen mit Kopf, Herz und Hand begriff und begreift, sondern ein einseitiges intellektuelles Konzept verfolgt, indem ein Konglomerat von lebensirrelevanten Inhalten schulisches Lernen bestimmte und immer noch bestimmt. Eine für die Reformpädagogen typische Kritik formulierte der französische Pädagoge Célestin Freinet: „Wir brauchen nicht mit Wissen vollgestopfte Hirne, sondern wache Köpfe.“[4] Diese Reformbewegungen waren und sind in ihrem Grundverständnis auf eine potenziell offene Gesellschaftsform gerichtet. Durch eine befreiende Erziehung und Bildung der jungen Menschen zu selbstbewussten, selbstständigen und selbsttätigen Bürgerinnen und Bürgern für eine neue europäische Gesellschaft galt und gilt es, diesen Wandel einzuleiten. Eine offene Gesellschaft durch eine sich öffnende Schule war schon das Ziel, das die Schwedin Ellen Key in ihrem Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ beispielhaft formulierte und damit einen der entscheidenden Anstöße für diese europaweite Bewegung gab.
Eine Entwicklungspädagogik schließt eine Didaktik mit ein, die sich an der möglichst optimalen Entfaltung des Kindes orientiert, die je konkreten Lebensverhältnisse des Kindes miteinbeziehen kann und dem Postulat verpflichtet ist, dass sich Schule in ihrer konkreten Gestaltung an den Entwicklungsbedürfnissen des Kindes orientiert und gleichzeitig in der Gestaltung des Schullebens demokratischen Grundregeln verpflichtet ist. Dabei können wir von einem ganzheitlichen Lern- und Bildungsverständnis ausgehen, für das uns die Reformpädagogik sehr wohl aus „Ausgangsform“, wie Peter Petersen dies formuliert hat, dienen kann.
Reformpädagogik – die Perspektive der Individualität
„Ohne die reformpädagogische Auffassung von den Persönlichkeitsrechten der Kinder, von ihrer Kreativität, der Ganzheitlichkeit der Lernbedürfnisse, der Vielfältigkeit der Entwicklungspotentiale und dem Bedürfnis nach sozialem Austausch von Geburt an kann es kein modernes Bildungsverständnis geben.“[5] Das Umdenken der Reformpädagogen bezüglich der Aufgabe der Erziehung bestand primär darin, dass ihr Denken auf eine bessere Zukunft hin ausgelegt war, die durch Erziehung zu erreichen sei. Bildung wird in dieser indirekt utopischen Erziehungskonzeption nicht durch die Forderungen der Erwachsenen bestimmt, sondern habe „vom Kinde aus“ zu gehen. „Vom Kinde aus“ kann dabei von den Reformpädagogen konzeptionell durchaus verschieden aufgefasst werden. Die schöne Überschrift zu diesem Kapitel gibt uns Ellen Key in ihrem Buch „Das Jahrhundert des Kindes“: „Die erste Erziehung muss darauf hinzielen, die Individualität des Kindes zu stärken“.[6] Eine didaktisch strukturierte Umsetzung dieses Postulats finden wir in der Erziehungskonzeption Maria Montessoris, in ihrem Konzept der Selbstbildung.[7] Das Ziel aller Erziehungsbemühungen ist für Maria Montessori die aktive Förderung kindlicher Unabhängigkeit und Selbständigkeit durch Selbsttätigkeit.[8] Hildegard Holtstiege zitiert Maria Montessori mit einer Umschreibung dieser Erziehungsabsicht: „Meister seiner selbst zu sein“, ein Zustand, der gleichbedeutend ist mit Freiheit.[9] Während sich der „herkömmliche“ Erzieher (und Lehrer) als Schöpfer des kindlichen Geistes versteht, bedeutet Bildung im Sinne Maria Montessoris Selbstschöpfung. Grundbedingung für diesen Prozess der Selbstschöpfung ist nach Maria Montessori vor allem die Freiheit für die eigene individuelle Entwicklung des Kindes innerhalb eines pädagogisch definierten Rahmens, der diesen Prozess der Selbstschöpfung überhaupt erst möglich macht.
Ausgehend von Maria Montessoris These der Ermöglichung eines Selbstbildungsprozesses des Kindes in einer vorbereiteten Umgebung und unter der Annahme der Fähigkeit des absorbierenden Geistes liegt die Implikation von Erziehungszielen, wie Selbständigkeit und Selbstverantwortung nahe. Unter den aktuellen gesellschaftlichen und schulpolitischen Aspekten der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und des selbstorganisierten Lernens erweist sich somit die noch immer vorhandene Aktualität der Montessori-Pädagogik als einer Pädagogik, der diese Fähigkeiten immanent sind. Dabei muss an dieser Stelle auch betont werden, dass sich diese pädagogische Aktualität nicht nur auf die frühkindliche Entwicklung bezieht, sondern auf die Entwicklung und das Lernen des Menschen in jedem Alter, vor allem aber auf die Entwicklung des jungen Menschen in unseren Schulen.
Die aktuelle Bedeutung der Montessori-Pädagogik für eine Pädagogik der Vielfalt zeigt sich in einer Zusammenfassung der Erziehungsziele und im Vergleich mit dem eingangs ausgeführten Bildungsbegriff. Es sind dies vor allem die Ziele der Selbstfindung und Selbstverwirklichung, des selbständigen und selbstorganisierten Lernens, die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, die Fähigkeit zur Arbeit im Team und letztlich auch zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaft.
Die Amerikanerin Helen Parkhurst hat das „vom Kinde aus“ schulorientierter übersetzt. Sie geht davon aus, dass die Einführung eines „neuen“ pädagogischen Konzeptes in den meisten Fällen das Erkennen der Defizite des bestehenden Schulsystems voraussetzt. Die dem Wesen des Dalton-Planes[10] nach zentrale erzieherische Leistung verweist auf ein auch in unserem System noch bestehendes Defizit: …,dass sich die Heranwachsenden in konstruktiven Problemlösungen als lernfähig erfahren können. Einen weiter gefassten Rahmen dieser Lernfähigkeit bilden bei Helen Parkhurst die Begriffe „Daseinsbewältigung“ und „Lebenstüchtigkeit“.
In „Education on the Dalton Plan“ (1922) werden zwei Grundprinzipien der Pädagogik Helen Parkhursts genannt:
„Freedom is … the first principle … . The second principle … is cooporation or … the interaction of group life.“[11]
1925 fügt Helen Parkhurst den dritten pädagogischen Grundsatz bei: „The Proportion of Effort to Attainment, or Budgeting Time“[12]. Der niederländische Daltonverein nennt hingegen Selbsttätigkeit als drittes Prinzip.
Helen Parkhurst meint mit dem Begriff „freedom“ jene Freiheit, welche die persönliche Wahl, die persönliche Entscheidung erlaubt und sogar fordert. Diese Art von Freiheit schließt auch die Verantwortung des Menschen für andere ein, wenn er sich für etwas entschieden hat. Daher muss das Kind diese Art von Freiheit allmählich lernen. Im Dalton-Plan definiert Helen Parkhurst Freiheit als Wahlfreiheit, unlöslich verbunden mit der Verantwortung für die Entscheidungen, die man trifft. Die von Helen Parkhurst in den Mittelpunkt ihrer Pädagogik gestellte Freiheit ist historisch gesehen auch eine Reaktion auf die so genannte „Zwangsschule“. Es ist nicht die Aufgabe der Lehrerin, dem Kind immer zu sagen, was es tun soll. Es ist aber ihre Aufgabe, dem Kind in seiner Entwicklung zu helfen.[13]
Helen Parkhurst versucht mit dem Dalton-Plan, den Schwerpunkt der Schule auf das Lernen und nicht auf das Lehren zu verlegen. Im herkömmlichen Unterricht ist es die Aufgabe der Lehrerin, darauf zu achten, dass die Schüler lernen. Ein wesentliches Prinzip des Daltonunterrichtes ist es aber, dass die Schüler selbst verantwortlich für ihre Arbeit und ihren Fortschritt sind. Der Unterricht wird so abgehalten (Pensen, Wahlmöglichkeiten, assignments,…), dass die Schüler verstehen, dass das Lernen ihre Sache ist und nicht die der Lehrerin oder des Lehrers.
Die Wahlfreiheit und das Prinzip der Selbsttätigkeit bringen es mit sich, dass die Daltonschulen untereinander doch ziemlich verschieden sein können. Diese Verschiedenheit kann, so paradox es klingen mag, ein Charakteristikum der Dalton-Plan-Pädagogik sein. Denn nach den Worten Helen Parkhursts ist der Dalton-Plan ist keine Methode und auch kein System. Der Dalton-Plan ist ein Einfluss, „a Way of Life“.
Célestin Freinet begreift „vom Kinde aus“ ebenfalls als Beachtung psychologischer Entwicklungsbedingungen zugleich aber auch als „schulische“ Aufarbeitung der von den Schülerinnen und Schülern in die Schule gebrachten Erfahrungen und Lebensumstände, um „Grundlagen für eine befreiende Erziehung der Arbeiterklasse zu schaffen“.[14] In diesem politischen Kontext ist auch der „freie Text“ zu sehen, der einerseits der Ausdruck der Individualität des Kindes ist, anderseits aber den Kindern zeigt, dass das von ihnen geschriebene Wort nicht nur eine Mitteilung an jemand ist, sondern die Realität ihres eigenen Lebens dadurch veränderbar sein kann. Durch die Einführung des Klassenrates und der Schulversammlung ist die demokratische Gestaltung des Lebensraumes des Kindes der Freinet-Pädagogik immanent. Die demokratische Gestaltung „freinet’schen“ Schullebens zeigt uns die Aktualität dieser Pädagogik und auch den reformpädagogischen Glauben, zu einer „besseren“ Gesellschaft über eine „richtigere“ Erziehung zu kommen – eine Vorstellung von der auch – nach meinem Dafürhalten – sein pädagogischer Freund Peter Petersen ausgegangen ist.
Den Jenaplan Peter Petersens dürfen wir explizit als Schulentwicklungskonzept begreifen. Der Jenaplan ist keine Unterrichtsmethode! Er ist vielmehr ein pädagogisches Konzept für „Eine freie allgemeine Volksschule nach den Grundsätzen Neuer Erziehung.“[15] Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Peter Petersen den Jenaplan eine Ausgangsform nennt.
Das Verständnis des Begriffes „Ausgangsform“ ist für die Anwendung des Jenaplans konstitutiv. Diese Ausgangsform ist eine wesentliche Unterscheidung gegenüber anderen Schulkonzeptionen oder -modellen. Sie ist konkretisierbar und beschreibbar in der Erziehungsidee, in dem, was eine pädagogische Situation sein soll, in den Bildungsgrundformen und vor allem in der Vorstellung, dass die Erziehungsidee und die pädagogische Situation für den jeweils konkreten individuellen und gesellschaftlichen Rahmen eine andere Ausprägung haben werden. Bildlich gesprochen erhalten Pädagoginnen und Pädagogen von Peter Petersen eine Form, von der sie „ausgehen“ und einen Plan. Doch es ist im Rahmen dieses Planes (Jenaplan) immer ihre Verantwortung, auf welchem Weg sie versuchen, das Ziel zu erreichen. Was in Jena absichtlich und bewusst unter den anerkannten Bedingungen der öffentlichen Schule erprobt wurde, sollte keineswegs ein Vorbild für eine bestimmte Schulart (etwa die Volksschule) sein. Peter Petersen ging davon aus, dass der Jenaplan „in jeder Schule verwirklicht werden kann, nur vorausgesetzt, dass die Erziehungsidee alles pädagogische Tun leiten und frei um ihren reinsten Ausdruck ringen kann.“[16]
In der Diskussion der Erziehungsidee ist es wichtig zu wissen, dass die kleine Schule (in Jena) den Kindern half, „Denken und Wollen anderer Weltanschauungsgruppen“ zu achten und zu verstehen „und dass man die Kunst der Kooperation mit Andersdenkenden“ ernsthaft lernte. Erziehung vollzieht sich nach der Erziehungsidee Peter Petersens in und durch die Gemeinschaft. Das Individuum bringt sich mit all seinen Fähigkeiten und Kenntnissen absichtslos in die echte Gemeinschaft ein und erfährt so seine Sinnerfüllung: Das Individuum wird zur Persönlichkeit durch Leben in der Gemeinschaft.[17] So gesehen ist die Frage nach der optimalen Unterrichtsmethodik zweitrangig gegenüber der alles entscheidenden Frage, wie der Unterricht „den beiden Ideen der Ehrfurcht vor dem Leben und der Erziehung, d. h. der Freimachung des Menschentums in jedem Kinde“, ohne Einschränkung dienen kann.[18]
Martin Wagenschein verwendet den Namen „Exemplarisches Lernen“ für sein pädagogisches Konzept. Er möchte, dass wir Lernenden vom Staunen, vom Phänomen ausgehen, ergriffen werden und uns in das Wesentliche, das Grundsätzliche und Fundamentale, das was übertragbar ist, vertiefen, dass wir Zeit finden, um in die Tiefe zugehen, zu entdecken, zu erforschen. Schon Lichtenberg beschreibt bereits 1799, worum es Martin Wagenschein beim Exemplarischen Lernen (auch) geht: „Was man sich selbst erfinden muss, lässt im Verstand die Bahn zurück, die auch bei anderer Gelegenheit gebraucht werden kann.“[19] Doch (…) etwas „wirklich erfassen“, das tun wir heute gar nicht mehr. „Wir haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennen zu lernen“, schreibt St. Exupéry.[20] Und weiterdenkend können wir mit Martin Wagenschein die auch für die Pädagogik selbst geltende pädagogische Frage: Was ist das Grundsätzliche, das Fundamentale, das Übertragbare, was wir aus den Erziehungskonzepten der Reformpädagogik entnehmen können, mit einem Wort das Allgemeingültige, das Wesentliche an der Reformpädagogik? Oder wie Martin Wagenschein es vielleicht gesagt hätte: Was ist das Pädagogische an der Reformpädagogik?
Martin Wagenschein gibt uns auch eine Antwort auf seiner Suche nach dem Wesen der Schule, es ist aber sicher keine endgültige und exemplarische Antwort, sie zeigt uns aber die Richtung, in der wir suchen können. Das eigentliche Wesen der Schule scheint mir aber in dem Bericht über den kleinen Claudio eingeschlossen zu sein, schreibt Martin Wagenschein:
„Von sich aus aber will das Kind lernen, nichts als lernen! – Ich sah vor kurzem ein knapp zweijähriges Kind – es war ein kleiner Italiener, Claudio, blond mit dunklen Augen – (…)
Ein paar Tage später war er schon zur Physik übergegangen und stand bei der Gravitation. Er hatte die Schwerkraft entdeckt. Und zwar war er weiter darin als wir. Sie erstaunte ihn noch, während wir das erst wieder lernen müssen. Er stand, völlig in sein Tun versunken, auf einer mit Kies belegten Terrasse. Er hockte sich nieder, nahm in beide Hände soviel Kiesel, wie sie fassen konnten, stand dann langsam auf, die Hände vor sich, die Handflächen nach oben, den Blick darauf gerichtet. Dann der Blick auf uns: Jetzt kommt es! Und es kam: Er brauchte nur die Hände zu öffnen, und die Steine fielen wie von selbst zur Erde, ganz von selbst. Er wurde nicht müde es zu wiederholen; und jedes Mal das kaum merkliche Lächeln zu uns: das Zeichen des Geistes. Siehst du es: es geht immer. Er hatte die Regel entdeckt, das Naturgesetz.“[21]
Wenn wir sonst keine Erklärung finden können, was denn nun eigentlich eine Pädagogik vom Kinde aus sei, dürfen wir uns vorerst einmal mit dem Beispiel Martin Wagenscheins zufrieden geben. Die wesentliche Kritik Martin Wagenschein können wir in der These zusammenfassen, dass wir den Kindern die angeborene Lernleidenschaft durch die Überfüllung der Köpfe mit Stoff verleiden. Doch ist gerade die Erhaltung des Lernwillens und der Lernleidenschaft der Kinder ein wesentliches Kriterium einer so genannten „Pädagogik vom Kinde aus“, einer kindorientierten Pädagogik. In diesem reformpädagogischen Sinn heißt Erziehung Freisetzung des Kindes zu seiner eigenen Selbstgestaltung.
Reformpädagogische Konzepte – die Perspektive der Didaktik
„Pädagogik vom Kinde aus …“
Maria Montessori und Kolleginnen und Kollegen
Die Reformpädagogik (engl.: progressive education) ist eine eigenständige Periode der Pädagogik zwischen dem Ende des vorigen Jahrhunderts bis ungefähr 1938, verbunden mit den Namen großer Pädagoginnen und Pädagogen, wie z.B. Ovide Decroly, Adolphe Ferrière, Paul Geheeb, Célestin Freinet, Maria Montessori, Peter Petersen, Paul Oestreich, Helen Parkhust, John Dewey, Henry Morris, Alexander S. Neill, Rudolf Steiner oder Otto Glöckel für Österreich, um nur einige zu nennen.
Mit dem Begriff Reformpädagogik verbinden wir oft der Wunsch, das zentrale Anliegen der Reformpädagogik – ihre Orientierung an der kindlichen Entwicklung als Pädagogik für das Kind – auf die Erziehungswirklichkeit der Gegenwart zu übertragen. Modifiziert, adaptiert soll die Reformpädagogik werden, nutzbar soll sie gemacht werden für originäre Neuschöpfungen auf der Grundlage der reformpädagogischen Konzepte. Eine der Grundvoraussetzungen für die Nutzbarmachung der Erziehungskonzepte der Reformpädagogik auf die heutige, aktuelle Schul- und Erziehungswirklichkeit ist jedoch das tiefe und eingehende Studium der originären Konzepte. Bevor und damit diese Konzepte für unsere Kinder, für Eltern, für Lehrerinnen und Lehrer, für Erzieherinnen und Erzieher erlebbar gemacht werden können, ist darüber hinaus die persönliche Auseinandersetzung mit der Theorie und praktische Erfahrung mit deren Umsetzung notwendig – auch, und gerade weil die Reformpädagogik bereits Geschichte ist. Wir beschränken uns hier auf die geraffte Darstellung von 4 dezitierten reformpädagogischen Konzepten, die in ihrer Rezeptionsgeschichte als bedeutend für die europäische und nordamerikanische unterrichts- und Schulentwicklung angesehen werden können: Die Dalton-Plan-Pädagogik, die Jenaplan-Pädagogik, die Freinet-Pädagogik und die Montessori-Pädagogik. Diese vier reformpädagogischen Konzepte werden noch ergänzt durch die Darstellung des „Exemplarischen Unterrichtes“ nach Martin Wagenschein – unerlässliche Überlegungen für jede Lehrplanentwicklung und für jede Curriculumentwicklung.
Der Dalton-Plan
„Will man den Daltonplan in den Kontext des reformpädagogischen Spektrums einordnen, ist zunächst der Aspekt von großer Bedeutung, dass es sich um eines der wenigen reformpädagogischen Modelle handelt, die für die Sekundarschule und für die „Regelschule“ entwickelt wurden.“
Susanne Popp
Helen Parkhurst, die Begründerin des Dalton-Plans beschreibt die didaktisch-methodische Alternativstrategie des von ihr erfundenen und entwickelten Konzepts folgendermaßen: „Das Grundprinzip besteht also darin, die (traditionellen) Lehrstrategien in eine Didaktik der Aneignungsstrategien zu übersetzen.“[22] Helen Parkhurst sah in ihrem Plan ein erstes Reforminstrumentarium, um für die gesamte Schule den Prozess einer „reconstruction“ einzuleiten und zweitens ein didaktisches Instrumentarium in einem exemplarischen Sinn, das überall anwendbar ist, wo die Voraussetzungen gegeben sind.[23] „Daher soll hier auch der Standpunkt vertreten werden, dass mit dem Dalton-Plan ein bedeutsames Schulkonzept vorgelegt wurde, dessen Lebenskraft keineswegs auf die kurze Entwicklungsperiode in den zwanziger und dreißiger Jahren begrenzt zu sein brauchte. Der Dalton-Plan ist vielmehr nicht bloß ein historisches Kapitel der neueren Bildungsgeschichte, sondern er ist auch gegenwärtig in den verschiedenen Schulformen anwendbar, weil er noch heute empfindlich spürbare Schulschäden zu überwinden versucht. Der Dalton-Plan erfordert ein hohes Maß didaktischer Reife und Urteilsfähigkeit, soweit er pädagogisch überzeugend umgesetzt werden soll.“[24]
Folgende Eckpunkte beschreiben den Dalton-Plan:
Keine Prinzipien, aber Grundabsichten
Die Grundabsichten ihres Konzeptes, das aus der erwähnten Ausgangssituation in jahrelanger Denkarbeit bis 1913 von Helen Parkhurst entwickelt worden war, beschreibt sie selbst folgendermaßen:
- „ … Erneuerungen der Schulprozesse, so dass Kinder sowohl mehr Freiheit als auch einen Lebensraum genießen würden, der besser auf ihre Studien eingerichtet ist …“
- „Vor allem wollte ich die persönlichen Schwierigkeiten der Kinder überwinden und die gleiche Entwicklungsmöglichkeit für das langsame und das aufgeweckte Kind schaffen.“[25]
Neben der grundsätzlichen Neugestaltung der Schule ist die Individualisierung des Unterrichts die zentrale Aufgabenstellung für Helen Parkhursts Konzept, das Lernen in einem individuellen Rhythmus erlaubt. Daher scheint es (damals) folgerichtig, dass Helen Parkhurst 1914 nach Rom reist, um die Pädagogik der Selbsttätigkeit bei Maria Montessori zu studieren. In diesem Zusammenhang schreibt Hermann Röhrs, dass „erst das Prinzip Maria Montessoris, die selbstständige Lernarbeit durch ein didaktisch vorgeformtes und daher individuell stimulierendes Material zu sichern“, die Methode Helen Parkhursts zu einem pädagogischen Konzept gemacht hat, das das gesamte Schulleben zu durchdringen vermag. „So sind die assignments als didaktische Garanten der freien Arbeitsweise ebenso wie die didaktisch strukturierten Facharbeitsräume erst nach der Auseinandersetzung mit Maria Montessori möglich.“[26]
Die Realisierung von Schule aus einem Lebensraum lebendig motivierten Studierens in unmittelbarer Auseinandersetzung mit den Dingen setzt das Zusammenwirken mehrer didaktischer Faktoren voraus, die aber noch kein didaktisches System darstellen:
– die die selbsttätige Arbeit erst ermöglichenden assignments[27],
– die veranschaulichenden und zur selbsttätigen Arbeit anregenden Facharbeitsräume,
– die Rolle der Lehrerin als Anregerin und Beraterin und
– das Eigenstudium der Schüler.
In „Education on the Dalton Plan“ schreibt Helen Parkhurst zum didaktischen Selbstverständnis des Dalton-Planes: „Der Dalton Laboratory Plan ist kein System und keine Methode, die durch jahrelange Anwendung zu einer monotonen und uniformen Form versteinert ist, mit der aufeinander folgende Generationen von Schülern gebrandmarkt werden, so wie man Schafe brandmarkt, wenn sie in den Pferch gehen. Er ist kein Curriculum, das allzu oft einfach die Maschine ist, mit der die Brandmarke den Individuen eingeprägt wird, die in den Schlingen des Systems gefangen sind.
Praktisch gesprochen ist er ein Schema einer Reorganisation der Erziehung, das die Zwillingsaktivitäten Lehren und Lernen vereint. Wird er intelligent angewandt, erzeugt er Bedingungen, die es dem Lehrer ermöglichen zu lehren und dem Schüler ermöglichen zu lernen.
Um das Schema anzuwenden, ist es nicht notwendig oder sogar wünschenswert, weder die Klassen als Organisationseinheiten in der Schule noch das Curriculum als solches abzuschaffen. Der Dalton Laboratory Plan behält beide bei. Jeder Schüler wird als Mitglied einer Klasse betrachtet, und für jede Klasse wird ein maximaler und ein minimaler Lehrplan entworfen. Aber vom Anfang an legt er den ganzen Arbeitsvorschlag in der Gestalt von einem Vertragspensum vor die Schüler. Der Lehrplan ist in Pensen eingeteilt worden, und der Schüler akzeptiert die Arbeit die für seine Klasse bestimmt ist als einen Vertrag. Obwohl in höheren Klassen darauf verzichtet wird, können jüngere Kinder einen bestimmten Vertrag unterschreiben, der jedem Einzelnen zurückgegeben wird, sobald seine Arbeit erledigt ist: ‚Ich ——, Schüler der — Klasse, verpflichte mich dazu, das — Pensum zu machen. Datum und Unterschrift ———- ’.“[28]
Zielsetzung
Auf Grund des notwendigen Zusammenwirkens dieser Faktoren spricht Helen Parkhurst in ihrem Dalton-Plan von einer synthetischen Zielsetzung.[29] Diese beschreibt sie in „Education on the Dalton Plan“ sehr differenziert: „Es (das Eigenstudium – Verf.) weckt in dem Kind einen Geist des Selbstvertrauens und der Initiative; dadurch beginnt sofort die Charakterbildung. Das ist Lebenserfahrung für das kleine Kind. Es lernt seiner eigenen Lebenserfahrung entsprechend zusammen mit seinen Mitschülern, die alle das gleiche Abenteuer suchen. Es formt während seines Schullebens die gleichen Beziehungsarten aus, die es später im Geschäfts- oder Berufsleben antreffen wird. Es lernt, indem es versucht (He is learning by trying).“[30]
Lernanleitungen – assignments – Pensen
„Es ist nicht zu viel gesagt, dass der Dalton Laboratory Plan vom Pensum abhängt, denn die erfolgreiche Anwendung des neuen Plans ist stark vom Ausmaß an Gewandtheit und Verständnis beim Zusammensetzen des Pensums abhängig. Seine Bedeutung wird richtig eingeschätzt, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass der Schüler nur durch jedes einzelne Pensum einen völligen Überblick über die Arbeit, die von ihm erwartet wird, bekommen kann. Zusammen betrachtet, stellen sie eine Übersicht der Arbeit in allen Unterteilungen dar.“[31]
Die Sicherung der kindlichen Arbeit durch die schriftlichen Arbeitsbeschreibungen (Pensen oder assignments) erlaubt es dem Kind – unter beratender Mitwirkung der Lehrerin – in Facharbeitsräumen seinen Interessen und Lernschwerpunkten nachzugehen. Die assignments ermöglichen darüber hinaus ebenso die Abkehr vom klassikalen Organisationsprinzip für die Schule. Die Grundbedingung eines assignments bestimmt Helen Parkhurst wie folgt: „Die erste Bedingung eines guten assignments ist, dass es unmissverständlich geschrieben ist, nicht nur mündlich gegeben wird, dass es klar ausgedrückt ist und durch seine Gestaltung dem Kinde klar macht, wohin es geführt werden soll.“[32]
Helen Parkhurst stellt an die Gestaltung von Pensen strenge Anforderungen. Ein Pensum soll völlig ausgeschrieben werden, mündliche Weitergabe genügt nicht, ein „interest pocket“ vorangestellt haben, das den Schüler neugierig macht und seine Motivation anregt, deutlich sagen, was es erfordern wird und welchen Schwierigkeiten der Schüler begegnen kann (Es kann auch die Bemerkung „Mit dem Lehrer sprechen!“ noch dazu kommen.), drei Ebenen von Differenzierung beinhalten:
– Niveaudifferenzierung,
– Interessendifferenzierung,
– Differenzierung nach Umfang und Zeit der Aufgabe und
aus neun Teilen bestehen:
- Preface: Strukturierung der Aufgabe, Unterstützung der Arbeitsplanung und Motivierung des Schülers; vergleichbar mit den sogenannten „advance organizers“ (inhaltsbezogene Organisationshilfen). Anknüpfung an die Alltagserfahrungen und Interessenlagen der Lernenden.
- Topic: Dient der thematischen Orientierung der Schüler.
Problems:[33] Verzeichnis der Aufgaben, die der Schüler im gegebenen assignment zu bewältigen hat, gegebenenfalls unterteilt in:
- Written work und
- Memory work.
- Conferences: Hier wird dem Schüler mitgeteilt, wann Fachunterrichtsstunden zu bestimmten Themen stattfinden.
- References: In dieser Rubrik finden die Schüler die entsprechenden Literaturangaben bzw. Nachschlagewerke oder Fachliteratur.
- Equivalents: Hier soll angegeben werden, wie die Schüler den Fortschritt während der Arbeit am Pensum vermerken können.
- Bulletin Studium: Mitteilungen auf dem Organisationsbrett, die während der Arbeit gemacht werden können und die hilfreich für die Erledigung des Pensums sind.
- Departmental cuts: Mitteilungen, welche Leistungen auch von einem anderen Fach anerkannt werden.
Ein weiterer wichtiger Vorteil für die individuelle Arbeit ergibt sich fast zwangsläufig aus dem Überblick über die gesamte Aufgabenstellung, der erst durch die Verschriftlichung der Aufgabenstellung möglich wird. Dadurch kann jedem Kind die seinem Leistungsstand entsprechende Arbeitsweise und sein Arbeitstempo gewährt werden. Auch „das langsamere Kind kann sich auf die wichtigsten Fragen eines Gegenstandes beschränken und an ihnen arbeiten, bis es sie durch und durch beherrscht.“[34] Die motivationale Wirkung der assignments wird noch sinnvoll ergänzt durch die didaktisch kluge Ausstattung der Facharbeitsräume. Die Kombination der assignments und der Facharbeitsräume lässt den Eindruck einer „Kinder-Universität“ durchaus als gerechtfertigt erscheinen. Formen der Selbstkontrolle und der Selbstprüfung gehören wesenhaft zu einer selbständigen und selbsttätigen Arbeit der Kinder in der Schule.
Prinzipien nach Helen Parkhurst
Gegenüber dem Dalton-Plan ist oft der Einwand erhoben worden, dass vor allem die Arbeit an den assignments in den Facharbeitsräumen eine sozial verdünnte Situation erwirke. Dieses Argument hat auch Peter Petersen dazu veranlasst, seinen Jenaplan einen „Widerpart des Dalton-Plans“[35] zu nennen. Helen Parkhurst bezieht gegen diese Kritik klar Stellung. Als erstes Prinzip des Dalton-Planes nennt sie die Freiheit, doch schon als zweites Prinzip betont sie die Interaktion: „Der zweite Grundsatz des Dalton-Plans ist die Kooperation oder, wie ich ihn zu nennen bevorzuge, die Interaktion im Gruppenleben.“[36] Sie umschreibt dieses Prinzip mit verschiedenen Wendungen, wie „social experience“, „sense of responsibility“, „socialisation“[37] und betont an anderer Stelle in ihrem Hauptwerk „Education on the Dalton Plan“: „Diese Sozialisation in der Schule, wie ich sie nenne, ist für den Erfolg des Experiments ebenso wichtig wie die Freisetzung der Kinder.“[38] Das Funktionieren dieses Prinzips erfährt auch immer wieder eine Bestätigung durch die Pädagoginnen und Pädagogen, die den Dalton-Plan „schulerneuernd“ und „schulentwickelnd“ in die Praxis umsetzen: C. W. Krimmins und Belle Rennie, die neben A. J. Lynch die Dalton-Plan-Bewegung in England initiiert haben, schreiben: „Die Schule wird – sobald sie nach dem Dalton-Plan organisiert ist – eine soziale Gemeinschaft, die nicht nur auf das Leben vorbereitet, sondern selbst Leben ist.“[39] In diesem Werk wird der Dalton-Plan als ein Schulmodell verstanden, dessen entscheidende pädagogische Kriterien die Individualisierung der Schularbeit und soziale Fundierung des Schullebens sind. Auch die Praxis der Dalton-Plan Schulen in den Niederlanden zeigt die Betonung der Sozialisationsfaktoren in einer modernen Anwendung des Planes Helen Parkhursts.
„Beim alten System spielt die Lehrerin die Hauptrolle. Sie ist, vielleicht unbewusst, mit dem Versuch beschäftigt, ihre Persönlichkeit und Auffassungen auf die Kinder zu übertragen. Aber der Dalton Plan dreht diese Rollen um und gibt der Persönlichkeit des Kindes eine Chance. Die Rolle des Lehrers ist, das sich entfaltende Leben Schritt für Schritt zu begleiten. Das bedeutet nicht, den Lehrer auf eine niedrigere Ebene zu verbannen. Um das Kind zu verstehen und mit seinem Wachstum Schritt zu halten, muss er selber wachsen, denn dieselben fundamentalen Gesetze die das Wachstum regeln sind auch für jede nächste Ebene gültig.
Die wirkliche Aufgabe der Schule ist nicht, den Schüler an vorgefasste Meinungen zu ketten, sondern ihm die Freiheit zu gewähren, seine eigene Meinung zu entdecken und ihm zu helfen, alle seine Kräfte auf das Problem Lernens zu lenken. Ein Pensum, für das er seine ganze Vernunft gebrauchen muss, ist mehr oder weniger eine Herausforderung, auf die er automatisch reagiert. Sogar wenn er im Anfang nicht genau weiß, was er mit seiner Verantwortung tun soll, werden Erfahrung und Freiheit zusammen es ihm bald beibringen. Erfahrung ist der beste und eben der einzige wirkliche Lehrer.“[40]
A way of life – a way of lifelong learning
Für Herrmann Röhrs ist der Dalton-Plan eine Chance, „die Schule so zu erneuern, dass aus der bloßen Lernarbeit ein selbst verantwortetes Studieren wird, dessen Methode in entwicklungsspezifischer Weise einsichtig bleibt“ und stellt ebenso ein „pädagogisches Faszinosum“ dar, das in seinem ganzen Ausmaß überhaupt noch nicht ins Auge gefasst und erprobt wurde.[41] Moderne Schulentwicklungsarbeit in den USA bietet in diesem Sinne durchaus erstaunliche Perspektiven des Dalton-Plans: … „as Lawrence A. Cremin suggests, four dominant themes present throughout the movement:
- a broadening of the school to include a direct concern for health, vocation, and the quality for community life;
- the application in the classroom of more humane, more active, and more rational pedagogical techniques derived from research in philosophy, psychology, and the social sciences;
- the tailoring of instruction more directly to the different kinds and classes of children who were being brought within the purview of school; …
- and finally, the use of more systematic and rational approaches to the administration and management of the schools.[42]
Dem Dalton-Plan kommt vor allem für eine pädagogisch fundierte Reform des Sekundarschulwesens eine entscheidende Bedeutung zu: Er ist weniger ein didaktisches System, seine methodische Qualität ist von der professionellen Struktur der Pensen abhängig. Er ist – wie andere „Pläne“ auch – für die jeweilige Schule adaptierbar, er ist selbst entwickelbar. Für engagierte Pädagoginnen und Pädagogen, die sich mit dem Plan Helen Parkhursts auseinandersetzen, wird dieser Plan (selbst)verständlich und wird einsichtig als „a way of life, a way of lifelong learning“.
Der Jenaplan
„Die Unterschiede in der sozialen, intellektuellen, emotionalen und körperlichen Entwicklung zwischen den Kindern werden nicht nur als gegeben akzeptiert, sondern als notwendige Voraussetzung für Erziehungs-, Entwicklungs-, und Lernprozesse betrachte.“
Ehrenhard Skiera
In der Reformpädagogik sind zwei kongeniale Richtungen zu differenzieren: die „Pädagogik vom Kinde aus“ und die so genannte „Arbeitsschule“. Nach Theo Dietrich liegen dem Jenaplan als einziger reformpädagogischer Richtung beide Prinzipien zugrunde. Er gibt dem Kind Freiheit dort, wo es aus eigenen Kräften heraus seinen Weg findet, und er führt das Kind aus pädagogischer Verantwort dort heraus, wo die Kräfte des Kindes versagen, oder das Kind verkehrte Wege einschlägt oder abirrt.[43] Die Auffassung Peter Petersens beruht, wie er selbst sagt, auf einem realistischen Menschenbild (nicht auf einem Menschenbild von „guten“ oder „schlechten“ Menschen). Nach Peter Petersen bedeutet dies, der Mensch besitzt „existentielles Sein“; er ist herausgetreten aus der Natur und ist dadurch der „erste Freigelassene der Schöpfung“. Mit dieser unfestgelegten Existenzweise muss der Mensch von der Geburt bis zum Tode Situationen bewältigen, also Stellung nehmen – so oder so; „ … einzig und allein bei tätiger Bewährung in den vielschichtigen und natürlichen zwischenmenschlichen Beziehungen reift ein Mensch zu einem sittlichen Wesen, reift seine sittliche Kraft.“[44]
Peter Petersen geht es mit seinem Schulkonzept nach dem Jenaplan um die Erziehung des ganzen Menschen und nicht um die Ausbildung von Teilfunktionen. Daher stellt sich Peter Petersen vor und mit dem Beginn seines Schulversuchs die Grundfrage: „Wie soll die Erziehungsgemeinschaft beschaffen sein, in der und durch die ein Mensch seine Individualität und Persönlichkeit vollenden kann?“[45] Die Antwort ist der Grundriss einer Schule, der die Verwirklichung der „Idee der Erziehung“ sowie den Aufbau von Erziehungsgemeinschaften ermöglicht. Dies hat zur Folge:
- Die Aufgabe des überlieferten Jahrgangsklassensystems zugunsten des „Stammgruppensystems“; die Stammgruppe umfasst in der Regel drei Altersjahrgänge (mit Begriffen von Petersen: Lehrlinge, Gesellen und Meister).
- Die Aufgabe des überlieferten Stundenplans („Fetzenstundenplan“) zugunsten des „Wochenarbeitsplanes“; er richtet sich nach den „Urformen der Bildung“ (Gespräch, Spiel, Arbeit und Feier).
- Die Einbettung des Unterrichts in das „Schul- und Unterrichtsleben“; im Mittelpunkt des Schullebens steht die Bewältigung von „Lebenssituationen“ unter pädagogischem Aspekt.
- Die Stellung des Lehrers als eines „Führers“ von Kindern und Jugendlichen; der Lehrer als Führer ist konstitutiv für seine Gruppe. „Im Gegensatz zur überlieferten Schule muss er hier Führer sein oder alles bricht zusammen.“[46] „Führer sein“ heißt: Autorität als zwischenmenschliches Verhältnis auf der Grundlage des Vertrauens aufbauen und besitzen – und nicht: Herrschaft und Macht ausüben.
Diese Prinzipien sichern den Vorrang der Erziehungsidee vor dem Unterricht im Sinne des „Einlernens“ und der Wissensvermittlung und -aufnahme. Sie machen zugleich deutlich, dass in dieser Arbeits- und Lebensgemeinschaftsschule, wie Peter Petersen seine Schule auch bezeichnet, das Prinzip der „Ordnung“ dominiert. Peter Petersen betont die „Führung des Unterrichts“ und die „Führung im Unterricht“ und weist mit Nachdruck auf die Bedeutung und die Notwendigkeit der „Vorordnungen des Unterrichts“[47] hin. Das alles zeigt, dass Peter Petersen und seine Schule nicht jener Richtung der Reformpädagogik zuzurechnen ist, die vom „Wachsenlassen“ und von der unumschränkten Selbststeuerung des Kindes ausgeht.[48]
Trotz dieser Abgrenzung hat der Jenaplan seine Vorgeschichte in der deutschen und internationalen Reformpädagogik. Symptomatisch für alle reformpädagogischen Richtungen und für einzelne Vertreter sind die folgenden drei Prinzipien:
- Orientierung am Kind;
- Das Prinzip der Selbsttätigkeit, Kreativität und Produktivität und
- Der „pädagogische Bezug“ im Sinne einer persönlichen Zuwendung des Erwachsenen (der Lehrerin und des Lehrers, der Erzieherin und des Erziehers) zum Schüler.
Die Jena-Plan-Schule beruht auf den Prinzipien:
Gemeinsame Erziehung aller Kindes des Volkes bis zum 10. Schuljahr
Peter Petersen hat seine Schule als zehnjährige „freie, allgemeine Volksschule“ geplant. „Allgemeine Schule ist sie insofern, als sie Kinder beiden Geschlechts, jeden Standes und Bekenntnisses, jeder Begabung vereinigt, und das solange als möglich, am liebsten zehn Schuljahre.“[49]
Gemeinschaftserziehung
Die „Stammgruppen“ und die „Tischgruppen“ innerhalb der Stammgruppen lassen „echte Gemeinschaften frei entstehen“, und dadurch reichen wir in der Schule „ … heran an die wahre Erziehung, wie sie zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Natur als reines Geistwirken absichtslos geschieht.“[50] „Die Idee der Erziehungsgemeinschaft wird oberste, alles Geschehen innerhalb der Schulgemeinde letzthin normierende Idee.“[51] Die Begründung dieser Aussage beruht auf Peter Petersens Auffassung über den Menschen, nämlich dass der Mensch des anderen bedarf, um Mensch zu werden. Der Mensch ist von seiner anthropologischen Bestimmung her Mit-Mensch; er braucht den anderen, um ein Selbst werden zu können. In diesem Sinne schreibt Peter Petersen bereits 1924: „Wir werden erst am anderen unser selbst inne, leben nicht mit ihm, sondern leben an ihm erst auf … Wir müssen es voll und ganz begreifen, dass fremdes Seelenleben vom Ursprung her unsere Seele nährt, dass wir auf Gemeinsamkeiten und aus Gemeinsamkeiten leben, und dass wir erst schöpferisch werden in dem Augenblick, wo das fremde Seelenleben auf uns einwirkt. Und da dies vom ersten Atemzuge an geschieht, so steht demnach jeder Mensch vom Ursprung her auf Gemeinschaft.“[52] Innerhalb der Gemeinschaft geschieht und wirkt Erziehung als „kosmische Funktion“; sie zielt auf Vergeistigung und Humanisierung des Menschen.[53] Diese Aussage zeigt, dass die Gemeinschaft auf einer humanen Ethik beruht, und dass in ihr eine humane Ethik entsteht und gelebt wird. Andernfalls existiert für Peter Petersen eben gar keine Gemeinschaft.
Schul- und Unterrichtsleben
Peter Petersen hat die Unterrichtsräume für die Stammgruppen von Schülerinnen und Schülern zur Schulwohnstube umgestalten lassen. Er entwickelte also neben dem Familienleben ein Schul- und Unterrichtsleben und ordnete den Unterricht darin ein. „Eine Folge des recht vorgeordneten Schullebens ist es, dass es inmitten dieses Wohnstubenlebens zu echten Tätigkeitsformen kommt. Man sieht die Kinder in ihren besonderen Aufgaben tätig vertieft, so dass sie auch nicht von den sich bewegenden und fragenden Mitschülern gestört werden. Entscheidender aber wird, dass es so wirklich zu erziehlichen Einflüssen kommt, dass wir in den Schulen, die doch Kunstformen sind und Stätten, in die die Jugend gezwungen wird infolge des staatlichen Schulzwanges, dennoch Kräfte und Formen der wahren Erziehungswirklichkeit erhalten und in Dienst nehmen können.“[54] Das Prinzip, dass sich innerhalb der Tätigkeitsformen in der Schulwohnstube Erziehung ereignet, ist originär nicht von Peter Petersen formuliert worden. Als erster hat Friedrich Fröbel dieses Prinzip formuliert. Er forderte die innige Verbindung, die „Einigung“ der Schule mit dem Leben. Die Schule soll dem Leben dienen, und dieses geschieht vornehmlich durch „Einigung des Familien- und Unterrichtslebens“. Familie, Unterricht und Schule sollen eine Einheit bilden.[55] Die Menschenbildung bedarf also primär einer Schule, die – wie Peter Petersen aufbauend auf die Gedankengänge Friedrich Fröbels sagt – „echte Familienschule“ ist.[56]
Schulgemeinde
Peter Petersen will eine Schulgemeinde bilden, eine Gemeinschaft bestehend aus Erzieherinnen und Erziehern, Eltern und Schülerinnen und Schülern. Diese drei Personengruppen wirken an der Erziehung des Kindes zusammen, und „der Schulunterricht soll sich immer als das Zweite“ (in die Schulgemeinde) einordnen.[57] Die Schulgemeinde soll mitten im „Volksleben ihres Standortes“ stehen und ein Schulgemeindeleben entwickeln.[58] Auch dieses Prinzip zeigt, dass die Erziehungsidee den Unterricht umgreift, dass die Eltern in die Verantwortung für die Schule einbezogen werden, und dass die Schule in der Vorstellung Peter Petersens in erster Linie Gemeindeschule, d. h. Gemeinschaftsschule und nicht Staatsschule ist. Gemeindeschule meint letztlich eine Schule, die einer ganzen Gemeinde, nämlich der Allgemeinheit gehört, an der alle Bürgerinnen und Bürger teilhaben und für die alle verantwortlich sind.
Der Jenaplan ist ein Konzept, das (hauptsächlich) von den Betroffenen immer neu geschaffen und getragen wird, nach deren Bedürfnissen und in deren Verantwortung. Der Jenaplan ist ein Konzept, das die Integration anderer pädagogischer Ideen in ein Gesamtkonzept ermöglicht. Der Jenaplan ist ein individualisierendes und gemeinschaftsförderndes pädagogisches Konzept. Und er ist ebenso ein inklusives Konzept.
Freinet-Pädagogik
Wirklich wichtig ist nicht das Wissen, sind nicht einmal die Entdeckungen: wichtig ist das Forschen.
Célestin Freinet
Vor dem Hintergrund eigener, meist negativer Schulerfahrungen mit der so genannten „Kasernenschule“ (C. Freinet) charakterisiert Célestin Freinet eine „kindgemäße Schule“ in seinem Werk „Die moderne französische Schule“:
„Die Schule von morgen wird das Kind als Glied der Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihres erziehlichen Bemühens stellen. Von seinen wesentlichen Bedürfnissen, hingeordnet auf die Belange der Gesellschaft, der es angehört, sind die von ihm zu erwerbenden manuellen und geistigen Fertigkeiten, das Bildungsgut, die Art der Vermittlung des Bildungsgutes und die Art und Weise seiner Erziehung abzuleiten. Es handelt sich bei diesem Vorgehen darum, die Schule wahrhaft wieder in eine vernünftige, wirksame und menschliche Form zu bringen, die es dem Kind erlaubt, zu einer möglichst vollkommenen Entfaltung seiner Menschlichkeit zu kommen.“[59]
Voraussetzung einer kindgemäßen Schule sind die sind die Erkenntnis und die Kenntnisse der kindlichen Entwicklungsprozesse und die didaktische Orientierung an den kindlichen Entwicklungsbedürfnissen. Erst dann kann die Schule nicht nur Lernwelt, sondern Lebenswelt des Kindes werden. Die Bedeutung von Schule als Lebenswelt des Kindes betont Célestin Freinet immer wieder im „Sinn des Lebendigseins“. In einer kindgemäßen Schule erleben die Kinder ihre Kraft, die in ihnen steckt, ihre inneren Wünsche, ihre Lebensstärke und ihre Kreativität und nicht nur sich einem fremden Willen unterzuordnen. In der Geschichte des Pferdes, das zur Tränke geführt wird illustriert C. Freinet die Eigen-Art des Lebendigen. Erzählt wird diese Geschichte vom Bauern Mathieu, dem C. Freinet im Geschichtenbuch „Les dits de Mathieu“ seine pädagogischen Einsichten aussprechen lässt:
„Der junge Städter wollte sich auf dem Bauernhof, der ihn beherbergte nützlich machen. ‚Bevor ich das Pferd aufs Feld führe’, so sagte er sich, ‚werde ich es trinken lassen.’ …
Und das frischgebackene Landkind zieht am Zügel, geht nach hinten und gibt dem Pferd ein paar kurze Schläge. Endlich! … Das Tier bewegt sich … es ist schon an der Tränke … vielleicht hat es Angst … ‚Ob ich es vielleicht streicheln soll? Du siehst doch, das Wasser ist frisch. Bitte! Mach mal deine Nüstern nass … Wie! Du trinkst nicht? … na dann!’
Und der Mann stößt mit Gewalt die Nüstern des Pferdes ins Wasser der Tränke. … Das Tier schnaubt und atmet, aber es trinkt nicht.
Der erfahrene Bauer kommt dazu. Ironisch sagt er: ‚Ach, du glaubst, dass man so ein Pferd führen kann? Weißt du, es ist nicht so dumm, wie ein Mensch … Es hat keinen Durst! …
‚Was kann man da machen?’
‚Man merkt, dass du kein Bauer bist! Du hast nicht verstanden, dass das Pferd zu dieser frühen Morgenstunde keinen Durst, aber große Lust auf guten frischen Klee hat. Danach hat es Durst, und du wirst sehen, wie es zur Tränke galoppiert.’ …“[60]
Die Prinzipien der Freinet-Pädagogik führen die Kinder und Jugendlichen in eine und in einer Schule der Vielfalt, Einzigartigkeit und Sinnfülle.
Bezug zum Leben
Im Freinet-Unterricht wird das Leben der Kinder im Unterricht weitergehen und sich in den Unterricht hinein fortsetzten, im herkömmlichen Unterricht wird es oft abgeschnitten und stirbt langsam. Der Begriff des Lebens ist für Célestin Freinet eine wichtige Metapher in seiner Philosophie. Immer wieder betont er, wie sehr ihm darauf ankomme, das Leben in die Schule hineinzunehmen.
Den Prinzipien ordnet C. Freinet Mittel und Techniken zu. Diese sind von C. Freinet zusammen gestellt worden, nur zusammen gestellt, nicht erfunden. C. Freinet hat die Vorschläge der Reformpädagogen seiner Zeit zusammengetragen und in seiner Pädagogik vereint.
– Berichte,
– Untersuchungen,
– Unterrichtsgänge,
– Arbeitsateliers …
Arbeit/Selbsttätigkeit
Fast in einem Atemzug mit dem Prinzip des Lebens nennt C. Freinet das Prinzip der Arbeit und des selbständig Tätigseins in der Schule. „Durch Selbsttätigkeit wird aller Bildungserwerb erfüllt.“[61] Die selbsttätige Arbeit geschieht in den Freinet-Klassen vorwiegend in den Arbeitsateliers. Folgende Mittel und Techniken empfiehlt C. Freinet für die selbsttätige Arbeit. Mittel und Techniken sind immer veränderbar und aktualisierbar, Prinzipien der Freinet-Pädagogik allgemeingültig und noch keinen Veränderungen unterworfen.
– Feldarbeit und Tierpflege,
– Schmiede und Schreinerei,
– Spinnen, Weben, Schneidern, Kochen, Hauswirtschaft,
– Konstruktion, Mechanik, Handel,
– Nachschlagekiste für Unterrichtsvorhaben,
– Wissensstoffe, Dokumentensammlung,
– Experimentieren in Naturkunde, Physik, Chemie,
– Meteorologie, Schulmuseum,
– Schöpferische Betätigung, graphische Gestaltung und Korrespondenz,
– künstlerisches Schaffen, Ausdruck und Mitteilung …
Sinn
Nicht nur die in der Schule zu lernenden und gelernten Inhalte müssen sinnvoll sein, sondern Lernen und Leben in der Schule müssen auch wesentlich dazu Beitragen, einen Lebenssinn finden zu können. Diese Forderung bezieht sich ebenso auf das Erlernen und Anwenden der Kulturtechniken Schreiben und Lesen. C. Freinet sagt dazu:
„Wir haben die Motivierug des Schreibens durch unsere Techniken praktisch verwirklicht. Diese sind: Die Möglichkeit des freien Sich-ausdrücken-Dürfens, die Vervielfältigung oder Druckerei, die Illustrierung, die Schaffung einer Schülerzeitung …“[62] „Das entscheidende Moment bei dieser Art des Schreibenlernens ist, dass das Kind den Wert, den Sinn und die Notwendigkeit des sich durch die Schrift Ausdrücken-Könnens in seiner Bedeutung für sich selbst und für die Allgemeinheit empfindet.“[63]
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich auf den systemischen Charakter der Prinzipien der Freinet-Pädagogik hinweisen. Lernen im lebensbedeutenden Sinn, kann nur selbst bestimmtes Lernen sein, ein Lernen in Freiheit und Selbsttätigkeit …
– freier Ausdruck/freier Text,
– Schul-Druckerei,
– Schülerzeitung,
– Korrespondenz …
Freiheit
Die Freiheit manifestiert sich in der Freinet-Pädagogik vor allem in der Freien Wahl der Arbeitsschwerpunkte, im freien Ausdruck als „Offenbarung des Lebens selbst“[64] und im freien Text, der „Veräußerlichung dessen, was im Kind ist, was das Gefühlt bewegt, es lachen oder weinen lässt, seine Träume erfüllt und ihm ausdrückliche Empfindungen verschafft …“[65]
– freier Ausdruck/freier Text,
– freie Wahl der Arbeitsschwerpunkte,
– freie Untersuchungen,
– freies Experimentieren …
Kooperation
Ein wesentliches Prinzip der Freinet-Pädagogik ist die Kooperation der Kinder untereinander und miteinander. Dieses Prinzip steht im Gegensatz zum konkurrenzierenden Verhalten der Kinder in der herkömmlichen Schule. Vor allem die Schuldruckerei, die Korrespondenz und die Einrichtung des Klassenrates sind Mittel und Techniken an den die Kinder die Kooperation erlernen und erleben.
– Gemeinschaftsarbeiten,
– Auswertung der Unterrichtsgänge,
– Auswahl der freien Texte,
– Korrespondenz,
– Gruppenarbeit,
– Druckerei,
– Experimentieren …
Verantwortung
Viele Aufgaben werden in einer Freinet-Klasse von den Kindern in einer selbsttätigen Art und Weise und ebenso selbst verantwortlich übernommen. Vor allem die Möglichkeit der Mitgestaltung des Schullebens führt zur Übernahme der Verantwort. Doch Verantwortung können die Kinder nur übernehmen, wenn ihnen diese durch all die zusammenhängenden Prinzipien auch wirklich übergeben wird.
– Verantwortlichkeit („Ämter“),
– Arbeitspläne,
– Disziplin,
– Klassenversammlung[66] …
Perspektiven
W. D. Kohlberg ergänzt das System von Kernaussagen der Freinet-Pädagogik noch um drei übergreifende Strukturelemente:
- Das entwicklungspsychologische Modell von der aktiven Natur des lernenden Menschen, in dem von der Voraussetzung ausgegangen wird, dass sich das lernende Individuum seine Wirklichkeit in einem spontanen Prozess aneignet und sich mit ihr aktiv auseinandersetzt.
- Die sich aus der oben schon angedeuteten systemischen Vernetzung ergebende „Systemische Mobilität“, die sich in zweifacher Form präsentiert:
a) Mobilität des Systems Freinet-Schule (Selbstorganisation, Schulprofilentwicklung, Arbeit in Schulnetzwerken u.a.);
b) Mobilität im System Freinet-Schule als Voraussetzung von Mobilität im System Lebenswirklichkeit. Die von P. Teigeler zusammengestellten Prinzipien (Siehe oben!) ergeben in ihrer systemischen Verknüpfung einen Lebens- und Lernraum, der dem Lernenden die Reduktion von Komplexität der Lebenswirklichkeit als Voraussetzung der Produktion von Komplexität der Lebenswirklichkeit ermöglicht.
- Les Stages. Im Gegensatz zur Montessori- oder Waldorf-Pädagogik erfolgt die „Aus-“ und Weiterbildung von Freinet-Pädagoginnen und Freinet-Pädagogen konsequenterweise systemintern. Die regionalen Zusammenkünfte von Lehrerinnen und Lehrern – aber auch die nationalen und internationalen Kongresse – sind basisdemokratisch angelegt. Man kommt zusammen, um neue Entwicklungen zu präsentieren, zu diskutieren und voneinander zu profitieren. Aber man trifft sich auch, um einander zu ermutigen, zu helfen und – ein ganz wichtiges Moment – miteinander zu leben (erleben). Das Fehlen jeglicher Hierarchie-Struktur, die konsequente Einhaltung eines bottom-up-Modells ist der Motor der Entwicklung in der Freinet-Pädagogik.[67]
Wie W. D. Kohlberg weiters betont, führt die Konzentration auf ein reformpädagogisches Modell zu einer in der modernen Unterrichts- und Schulentwicklung kaum mehr vertretbaren einseitigen didaktischen Perspektive. Ein Kombinationsmodell kann jedoch nur dann erfolgreich entstehen, wenn die verwendeten Teilmodelle eine gemeinsame pädagogische Schnittmenge aufweisen. Diese Schnittmenge soll mit der folgenden, nicht vollständigen Aufzählung verdeutlicht werden:[68]
– Ganzheitliche Erziehung und Bildung,
– Individualisierung der Lernprozesse,
– Selbstständiges (selbsttätiges) Lernen im didaktischen Umfeld,
– Lernen nach dem Wochenplan,
– Angebots- und damit Chancenvielfalt als Voraussetzung für einen individuellen Lernweg,
– Epochenunterricht/fächerübergreifender Unterricht,
– Öffnung der Schule für die sie umgebende Lebenswelt und umgekehrt,
– Lernen in jahrgangsübergreifenden Gruppen,
– Überwindung von Sozialschranken durch inklusive Schullebensformen,
– Entschärfung der objektiven Leistungsmessung durch Formen der subjektiven Leistungsmessung.[69]
Der Rückgriff auf ein „reines“ reformpädagogisches Modell kann daher aus heutiger Sicht nur als Rückschritt verstanden werden. Vielmehr sind die am Reformprozess der Schule Beteiligten aufgefordert, für eine vielschichtige, pluralistische und offene europäische Gesellschaft offene Schulmodelle zu entwickeln. Diese neuen offenen Schulmodelle können m. E. nur in einem Prozess entstehen, den Célestin Freinet einmal so beschrieb: „Wir holen uns den Honig dort, wo er uns am besten schmeckt“.[70]
Offen sollte diese Schule sein für alle Schüler, gleich welchem Entwicklungs-, Lern- und Leistungsstands, gleich welcher sozialen, regionalen, weltanschaulichen, geschichtlichen Herkunft. Vielfalt ist somit konstitutiv für eine offene Schule.[71]
Offen sollten diese Schulen weiterhin sein für
– neue Inhalte (interkulturelles Lernen, ökologisches Lernen u.a.),
– neue Methoden (freie Arbeit, Wochenplanarbeit, Epochenunterricht u.a.),
– neue außerschulische Lernorte,
– neue Nutzer, indem sie Begegnungsstätten aller Lernwilligen werden („Haus des Lernens“),
– neue Flexibilität nach innen und außen (open-plan-schools),
– ein neues Klima (mentale Offenheit).[72]
Wenn es also gelingt, – noch einmal zurück zu Freinet – die prinzipielle Offenheit der „Ecole Moderne“ aktiv für Unterrichts- und Schulentwicklung zu nutzen, dann kann die „Ecole Moderne“ noch über lange Zeit modern und einer modernen Unterrichts- und Schulentwicklung als eine der notwendigen Grundlagen erhalten bleiben. Durch die modernen Kommunikationsmedien erlebt die Freinet-Pädagogik eine Reaktualisierung und bietet gleichzeitig der Integration von Computer, Email und Internet in die Schule eine pädagogische Struktur, in der die Anwendung derselben sinnvoll wird.
Einen weiteren, für eine Entwicklungsdidaktik bedeutsamen Bezug zur Freinet-Pädagogik (und damit wahrscheinlich zu alle den hier diskutierten reformpädagogischen Richtungen) stellt P. Teigeler her, wenn er die Frage stellt, welche Psychologie nun tatsächlich der Freinet-Pädagogik psychologisch nahe kommt.
Lebenspsychologie – Existenzpsychologie
Wie in der Freinet-Pädagogik sind in der Existenzpsychologie Viktor Frankls Freiheit, Sinnerfüllung und Verantwortung Schlüsselbegriffe. P. Teigeler erwähnt vor allem die Selbst-Transzendenz, das Angelegtsein des Menschen auf das Leben in der Welt, die Sinn-Erfüllung, als spezifisch humane Motivation des Menschen, die Freiheit der geistigen Person und die Verantwortung als Mit-anteil an den einzelnen Entscheidungen als zentrale Begriffe. Freinet’s Prinzipien wie „Leben in der Schule“, „Arbeit“, „sinnvolles Lernen“, „Freiheit“ und „Verantwortung“ finden in der Existenzpsychologie Viktor Frankls eine begriffliche wie auch eine inhaltliche Entsprechung. Die menschliche Verwirklichung geschieht nach Viktor Frankl im wirklichen Tun in der Welt und im Leben. Dieses Tun beschreibt Virktor Frankl in einem schöpferischen, sinnsuchenden und sinnfindenden Tun in geistiger Freiheit, gebunden durch die Verantwortung.[73]
Célestin Freinet und Viktor E. Frankl haben einander weder gekannt noch sich jemals in ihren Schriften aufeinander bezogen. Die Übereinstimmungen und gegenseitigen Ergänzungen in den beiden Konzepten können mit Sicherheit für ein pädagogisches Konzept fruchtbar gemacht werden, in dessen Mittelpunkt die kindliche Entwicklung steht, dem Konzept einer Entwicklungsdidaktik, das hier skizziert werden wird.
Montessori-Pädagogik
Es ist die gemeinsame Arbeit, die Zuwendung zum Kind und die Liebe zum sich entwickelnden Menschen, die diesem eine möglichst gute Entwicklung seiner Persönlichkeit ermöglichen; … erst dann kommt die Arbeit mit dem Material!
Maria Montessori
Selbstfindung und Selbstverwirklichung, selbständiges und selbstorganisiertes Lernen, die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen, die Fähigkeit zur Arbeit im Team und letztlich auch zum friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaft sind aktuelle und moderne Bildungsziele, die durch ein didaktisch in sich geschlossenes Konzept der Selbstbildung, wie die Montessori-Pädagogik eines darstellt, realisiert werden können.[74] Ich gehe von der These aus, dass die Montessori-Pädagogik diese Bildungsziele in einem höheren und besseren Maße erreichen hilft als eine zum großen Teil lehrerzentriert orientierte Schulpädagogik. Diese These werde ich nicht beweisen können, möchte aber aufzeigen, in welchem didaktischen Konzept die Verwirklichung der Bildungsziele wahrscheinlich erscheint. Ich bin überzeugt, dass sich damit auch die Frage nach der Aktualität der Montessori-Pädagogik beantworten wird.
Selbstschöpfung und Freiheit
Während sich der „herkömmliche“ Erzieher (und Lehrer) als Schöpfer des kindlichen Geistes versteht, bedeutet Bildung im Sinne Maria Montessoris Selbstschöpfung. Grundbedingung für diesen Prozess der Selbstschöpfung ist nach Maria Montessori vor allem die Freiheit für die eigene individuelle Entwicklung des Kindes innerhalb eines pädagogisch definierten Rahmens, der diesen Prozess der Selbstschöpfung überhaupt erst möglich macht. Dieser Rahmen wird durch die pädagogischen Grundgedanken Maria Montessoris umschrieben werden können.
Grundgedanken der Montessori-Pädagogik und ihre Bedeutung für ein didaktisches Konzept
Es ist die gemeinsame Arbeit, die Zuwendung zum Kind und die Liebe zum sich entwickelnden Menschen, die diesem eine möglichst gute Entwicklung seiner Persönlichkeit ermöglichen; … erst dann kommt die Arbeit mit dem Material!
Maria Montessori
Was ist nun der Inhalt des pädagogischen Konzeptes Maria Montessoris? Wie wird die Selbstbildung des Kindes innerhalb der Schule (und auch innerhalb der Familie) ermöglicht? Das Verständnis des Begriffes „Didaktik“ wird bei Maria Montessori kaum explizit definiert. Sie lehnt sich in ihrer didaktischen Grundorientierung – wie andere Reformpädagogen auch – an das schon zuvor von J. J. Rousseau formulierte Anliegen des Eigenrechtes des Kindes auf freie Entwicklung und eigenständige Zielsetzung an.[75]
Dabei geht es in pädagogischer Verantwortlichkeit niemals um bloßes Gewährenlassen. Der oft zitierte, zum Leitgedanken der Montessori-Pädagogik gewordene Ausspruch eines Kindes „Hilf mir, es selbst zu tun!“ verlangt nach didaktischen Fragestellungen und Antworten. Wir müssen in diesem Zusammenhang von der didaktischen Grundfrage ausgehen: Wie kann ich einem Kind in seiner individuellen Entwicklung und in einer ganz bestimmten Gesellschaft behilflich sein, zu einer optimalen Entwicklung seiner intellektuellen, psychischen und physischen Fähigkeiten und Fertigkeiten unter Berücksichtigung der notwendigen gesellschaftlichen Erfordernisse zu gelangen? Wenn wir die Frage im Kontext der Montessori-Pädagogik sehen, könnte sie auch folgendermaßen gestellt werden: Welcher Weg führt zur Selbstbestimmung des Menschen?
Maria Montessori spricht niemals explizit von Prinzipien ihrer Pädagogik, die uns diesen Weg zeigen können. Günter Schulz-Benesch spricht von Grundgedanken, Hildegard Holtstiege gibt eine „Modellbeschreibung“. Wir könnten die Begriffe Freiheit, Sensible Phasen, Vorbereitete Umgebung, Entwicklungsmaterialien, Polarisation der Aufmerksamkeit, Absorbierenden Geist ebenso Orientierungspunkte nennen, die es uns ermöglichen, die äußere und innere Ordnung in unserer Arbeit mit den Kindern zu finden, um ihnen auf dem Weg zu Selbstbestimmung zu helfen.
Ich möchte eindeutig vorausschicken, dass Lernen in Freiheit und Selbstbildung kein Widerspruch zu einem didaktischen System darstellt. Ich gehe vielmehr von der Voraussetzung aus, dass die Freisetzung des Lernenden zur eigenen Entwicklung eine klare, eindeutige und für den Lernenden deutlich erkennbare Struktur benötigt, um eine Orientierung in und zur Selbstbestimmung finden zu können. Nach der Vorstellung Maria Montessoris finden wir diese Struktur im Aufbau und in der Anordnung der Entwicklungsmaterialien, in der richtigen Darbietung derselben, im respektvollen Umgang mit den Kindern, der Achtung vor ihrem Willen und in der Emphatie der Lehrerin, sich in den inneren Bauplan des Kindes einzudenken und einzufühlen.
Die Schrift Maria Montessoris, die die konkretesten Hinweise auf eine didaktisch-methodische Arbeit mit den Kindern gibt, „Schule des Kindes“ Band II, ist leider in einer deutschen Übersetzung bis zum heutigen Tag nicht erschienen.[76] Das ist einerseits bedauerlich, weil ein wesentlicher Teil der Didaktik Maria Montessoris in unserer eigenen Sprache nicht gelesen werden kann, anderseits ergibt sich dadurch die Chance, die Montessori-Pädagogik in einem didaktischen Verständnis, das der heutigen pädagogischen Situation und den pädagogischen Kenntnissen entspricht, zu sehen und neu zu beschreiben.
Ein wesentlicher Gesichtspunkt einer Didaktik der Montessori-Pädagogik wird vor allem in einer didaktisch-methodischen Ordnung der Arbeit mit den Kindern zu sehen sein. Diese Ordnung orientiert sich an den Grundgedanken Maria Montessoris und an den Inhalten der didaktischen Werke, die zugänglich sind.[77] Ein ausführliches Beispiel bieten wir in der didaktischen Ordnung der Arithmetik nach der „Psychoarithmetik“ Maria Montessoris. Nun zu den Grundgedanken der Montessori-Pädagogik.
Die sensiblen Phasen
Maria Montessori hat die sensiblen Perioden nicht als erste entdeckt, aber während der Arbeit mit ihren Kindern immer wieder beobachtet. Die eigentliche Entdeckung geht auf den Holländer Hugo des Vries zurück, und Montessori fasst die Entdeckungen von de Vries in folgender Definition zusammen: „Es handelt sich um besondere Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung, das heißt im Kindesalter des Lebewesens, auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen nur dazu, dem Wesen den Erwerb einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen. Sobald dies geschehen ist, klingt die betreffende Empfänglichkeit wieder ab.“[78]
Es scheint Maria Montessoris Verdienst zu sein, auf Grund der soeben erwähnten gezielten und gründlichen Beobachtungen elementare Sensibilitäten, die fundamentale Bedeutung für die Selbst-Konstruktion des Menschen in seinem Bildungs- und Selbstwerdungsprozess haben, entdeckt zu haben. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Maria Montessori ihre Entwicklungsmaterialien in Abstimmung auf die Sensibilitäten der jeweiligen Entwicklungsphasen des Kindes geschaffen hat. Und das Ziel, auf das alle didaktischen Bemühungen gerichtet sind, besteht in der Intention, dem Kind zu helfen, sich durch Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zur freien Persönlichkeit zu entwickeln. Dieses Ziel lässt sich auch wie folgt formulieren: das Kind als geistiges Wesen fähig machen, seinen Weg ganz allein zu finden. Das genannte Ziel soll unter Berücksichtigung oder in Anlehnung an die jeweiligen Empfänglichkeitsperioden durch viele kleine didaktische Teilziele erreicht werden. „Wir wollen den Selbstaufbau des Menschen in der dazu geeigneten Periode unterstützen.“[79]
Die erzieherische Arbeit vollzieht sich konkret durch die Förderung von phasenspezifischen Sensibilitäten, das heißt durch die Begegnung des Kindes mit den ihm angebotenen didaktischen Inhalten. Im Idealfall erreicht das Kind dann in seiner Arbeit mit dem Material den Zustand der Polarisation der Aufmerksamkeit. In diesem Zustand spielt sich nach Maria Montessoris Annahme der eigentliche Reife- und Entwicklungsprozess der Kinder ab. Der Vorgang der Polarisation[80] der Aufmerksamkeit ist ein genuiner und komplexer Bildungsprozess, während dem sich das Kind mit allen seinen Sinnen und seiner Innerlichkeit so auf eine Tätigkeit konzentriert, dass es gleichsam einen Zustand des „In-sich-Versunkenseins“ erreicht. Das Zustandekommen und die optimalen Wirkungen dieses Vorgangs sind an das exakte Zusammentreffen von Sensibilitäten und einer ihnen entsprechenden Anregungsumwelt gebunden.
Ihr berühmt gewordener Ausspruch „Kinder sind anders!“ kann in diesem Zusammenhang so erklärt werden: Erwachsene nehmen ihr Wissen mit Hilfe der Intelligenz auf, das Kind absorbiert es mit seinem psychischen Leben. Gerade darin äußert sich das qualitative Anderssein der frühkindlichen Intelligenz und ihrer Aktivitäten. Das Schicksal der beschriebenen Sensibilitäten hängt weitgehend davon ab, welche Erfahrungen dem Kind in der Umwelt ermöglicht und aktiv angeboten werden. Genau zu diesem Zweck schuf Maria Montessori ihr Entwicklungsmaterial und die vorbereitete Umgebung. Bei der Einrichtung von Montessori-Klassen oder Montessori-Gruppen ist auf die didaktische Anordnung des Entwicklungsmateriales in einer vorbereiteten Umgebung zu achten. Die vorbereitete Umgebung hat den Sensibilitäten der Kinder angepasst zu sein. Darüber hinaus genügt es nicht, wenn die Umgebung nur vorbereitet ist, sie muss auch eine entspannte Umgebung sein.
Die vorbereitete Umgebung
Das Einrichten einer vorbereiteten Umgebung erfordert von den Lehrerinnen hohe Sensibilität in der Frage, ob diese Umgebung auch den Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Kinder entspricht.
Die vorbereitete Umgebung strukturiert die Arbeiten der Kinder und der Lehrerinnen in der Weise vor, dass die Kinder die besten Entwicklungsbedingungen vorfinden.[81] Sie enthält neben der kindgerechten Einrichtung des Klassenraumes die Entwicklungsmaterialien in einer für das Kind erfassbaren didaktischen Anordnung. Die Vorbereitung der Umgebung erschöpft sich jedoch keinesfalls im Anbieten von „irgendwelchen Arbeitsmitteln und toten Materialien, so wichtig diese auch sind, sondern es ist damit ein menschlich durchwaltetes, reiches und „lebensvolles“ Kulturmilieu im umfassendsten Sinn gemeint“.[82] Zur Vorbereitung der Umgebung gehört auch, dass das Lernen und Leben der Kinder in einer entspannten Umgebung stattfinden kann. Und so ist auch die Lehrerin in ihrer akzeptierenden Einstellung und Haltung zum Kind, ihrem umfassenden didaktischen Wissen und Können in der Materialarbeit und in der gemeinsamen hilfreichen Arbeit ein wesentlicher Teil einer vorbereiteten und entspannten Umgebung, in der sich Kinder optimal entwickeln können.
Ein weiteres wesentliches Faktum einer Vorbereiteten Umgebung ist die Einrichtung von Mehrjahrgangsklassen zum Zwecke der Mischung der Lebensalter.[83] „Was wir in unseren Schulen suchen, ist nämlich gerade der Altersunterschied. Und wenn wir diesen Unterschied begrenzen sollen, so sagen wir, dass mindestens ein Altersunterschied von drei Jahren gegeben sein muss.“[84] Danach sollen bis zu drei Jahrgänge in einem Klassenverband zusammengefasst werden, und zwar den Entwicklungsstufen entsprechend die drei bzw. vierjährigen bis sechsjährigen, die sieben- bis neunjährigen und die zehn- bis zwölfjährigen. Diese Zusammensetzung eröffnet auch in unserem Schulsystem eine Verbindung zwischen der vorschulischen und der Grundschulerziehung. Diese Struktur ermöglicht den Kindern vielfältige intellektuelle, soziale und emotionale Erfahrungen. Die Möglichkeit von offenen Türen (zwischen den einzelnen Lerngruppen) stellt nicht nur eine Freiheit des Verkehrs unter den Gruppen, sondern auch eine Freiheit des Lernens unter den verschiedenen Niveaus und Graden der Bildung sicher. „Es ist nicht wichtig zu welcher Klasse man gehört, ob es die erste, die zweite oder die dritte Gruppe ist, sondern die Tatsache ist wichtig, dass sie voneinander lernen und dabei wachsen und sich entwickeln. Es ist der Gedanke: „Ich gehe hin und studiere Dinge, die für mich sinnvoll sind und die mich interessieren“.[85]
Die angepasste oder vorbereitete und entspannte Umgebung muss so beschaffen sein, dass sie die Selbständigkeit des Kindes fördert mit dem Ziel, dass das Kind durch seine eigene Aktivität den Aufbau (die zunehmende Organisation) seiner Persönlichkeit vollziehen kann. Das wiederum ist nur möglich durch entsprechende Interaktion mit seiner Umgebung.[86] Die vorbereitete Umgebung muss dem kindlichen Entwicklungsstand entsprechend geschaffen werden und beschaffen sein und im Interessensangebot und in den dargebotenen Materialien den Sensibilitäten der Kinder entsprechen.
Zum Entwicklungsmaterial
Mit Hilfe des Entwicklungsmaterials ist es den Kindern möglich, ihre intellektuellen, psychischen und motorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Innerhalb der sensiblen Perioden gelingt dies besonders gut. Kinder können mit diesen Materialien selbständig arbeiten und lernen. Wir unterscheiden nach Maria Montessori Materialgruppen zur Förderung phasenspezifischer Sensibilitäten, wie die Materialien zu den Übungen des täglichen Lebens und zur Sinnesschulung sowie didaktische Materialien für Mathematik, Sprache und kosmische Erziehung. Die didaktischen Materialien bilden die wesentlich größere Materialgruppe. Sie stehen in einem engen Zusammenhang zu den beiden Materialgruppen Übungen des täglichen Lebens und Sinnesschulung.
Bei allen Materialgruppen finden wir durchgehend
– das Prinzip der Isolation der Schwierigkeiten,
– das Merkmal der Ästhetik und
– das Merkmal der Selbstkontrolle.
Die Selbstkontrolle dient der Entwicklung wesentlicher Eigenschaften und Fähigkeiten der Schüler. Die Schüler sollen ihre Arbeit selbstverantwortlich und ehrlich kontrollieren können.
Die vorbereitete Umgebung, in der diese Materialien den Kindern zur Verfügung stehen, bildet einen Ordnungsrahmen für die Arbeit der Kinder. Sie wählen die Materialien selbst aus, können auch selbständig und selbsttätig mit diesen arbeiten oder erhalten von der Lehrerin eine Lektion, wie mit dem Material gearbeitet werden kann. Die vorbereitete Umgebung ist jene pädagogische Struktur, die für jede Art des sogenannten offenen Unterrichtes unbedingt notwendig ist. Kinder bedürfen eines klaren pädagogischen Rahmens, der ihnen Orientierung bietet und der selbständiges Arbeiten überhaupt erst ermöglicht.
Die Polarisation der Aufmerksamkeit
So wie es beim Zirkel notwendig ist, einen Punkt festzulegen, damit der Kreis genau wird, so ist beim Aufbau des Kindes die Aufmerksamkeit der wesentlichste Punkt.
Maria Montessori
Die Polarisation der Aufmerksamkeit ist das Schlüsselphänomen, dessen Entdeckung Maria Montessori den Zugang zu einer wirksamen Unterstützung kindlicher Entwicklung gewiesen hat. Sie nennt dieses Phänomen „einen wichtigen Stützpunkt, auf dem sich die kindliche Arbeit aufbaut“.[87] Das Phänomen der Polarisation der Aufmerksamkeit entdeckte Maria Montessori bei der Beobachtung eines dreijährigen Kindes, das sich mit den Einsatzzylindern beschäftigte:
„Zu Anfang beobachtete ich die Kleine, ohne sie zu stören, und begann zu zählen, wie oft sie die Übung wiederholte, aber dann als ich sah, dass sie sehr lange damit fortfuhr, nahm ich das Stühlchen, auf dem sie saß, und stellte Stühlchen und Mädchen auf den Tisch; die Kleine sammelte schnell ihr Steckspiel auf, stellte den Holzblock auf die Armlehnen des kleinen Sessels, legte sich die Zylinder in den Schoß und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Da forderte ich alle Kinder auf zu singen; sie sangen, aber das Mädchen fuhr unbeirrt fort, seine Übung zu wiederholen, auch nachdem das kurze Lied beendet war. Ich hatte 44 Übungen gezählt; und als es endlich aufhörte, tat es dies unabhängig von den Anreizen der Umgebung, die es hätten stören können; und das Mädchen schaute zufrieden um sich, als erwachte es aus einem erholsamen Schlaf.“[88]
Über die pädagogische Bedeutung dieses Phänomens schrieb Maria Montessori: „Dies ist offenbar der Schlüssel der ganzen Pädagogik: diese kostbaren Augenblicke der Konzentration zu erkennen, um sie beim Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen, später in Grammatik, Mathematik und Fremdsprachen auszunützen. Alle Psychologen sind sich übrigens darin einig, dass es nur eine Art des Lehrens gibt: tiefstes Interesse und damit lebhafte und andauernde Aufmerksamkeit bei den Schülern zu erwecken.“[89]
Die Bedingungen für die Ermöglichung dieses Phänomens der Konzentration sind den pädagogischen Prinzipien der Montessori-Pädagogik immanent. Die grundlegende Bedingung ist die Beachtung sensibler Phasen. Lehrerinnen können nicht immer die sensiblen Phasen aller Kinder kennen. Darum müssen sie es den Kindern überlassen, welche Interessen und Bedürfnisse für sie im Vordergrund stehen und was sie aus der vorbereiteten Umgebung auswählen und damit lernen wollen. Deshalb muss immer ein Angebot von angemessenen Übungen und Materialien bereitstehen. Die vorbereitete Umgebung muss deshalb auch so strukturiert sein, dass sie eine innere Leitfunktion für die selbständige Entwicklung kindlicher Intellektualität und Personalität enthält. Die Leitfunktion der vorbereiteten Umgebung veranlasst die Lehrerin meist nur zu einem indirekten Eingreifen. Sie reagiert auf die kindlichen Bedürfnisse. Als Leitgedanke des Handelns der Lehrerin gilt der Ausspruch des kleinen Kindes zu Maria Montessori: „Hilf mir, es selbst zu tun!“
Mit dieser Entdeckung hatte Maria Montessori endgültig einen Zugang zum kindlichen Selbstbildungsprozess gefunden. Die weitere Frage richtete sich auf die systematisch herstellbaren Bedingungen für das Auftreten bzw. Eintreten des Phänomens – die Frage nach der vorbereiteten Umgebung, die Frage nach dem Auftreten der sensiblen Perioden sind grundlegende Bedingungen für das Auftreten der Polarisation der Aufmerksamkeit. Weitere Konditionen sind in der Freiheit der Initiative und der Freiheit der Wahl zu sehen und zu finden. Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern ist geprägt von einem unbedingten Vertrauen, dass Kinder wissen, was sie lernen wollen und dass Kinder erfüllt sind von einem weiteren Phänomen: dem absorbierenden Geist.
Der absorbierende Geist
„Wir Erwachsenen nehmen die Umwelt nur in unserem Gedächtnis auf, während sich das Kind an die Umwelt anpasst. Diese Form des vitalen Gedächtnisses, das sich nicht bewusst erinnert, sondern das Bild in das Leben des Individuums absorbiert, erhielt von Percy Nunn einen besonderen Namen: „Mneme“… Im Kind besteht für alles, was es umgibt, eine absorbierende Sensitivität …“[90]
Mit dem Begriff des „absorbierenden Geistes“ bezeichnet Maria Montessori auch die umweltintegrierende Produktivität des Kindes. So schreibt sie in ihrem Alterswerk „Das kreative Kind“, das ursprünglich 1848/49 in Indien unter dem englischen Titel „The Absorbent Mind“ erschienen ist: „Wir sind Aufnehmende; wir füllen uns mit Eindrücken und behalten sie in unserem Gedächtnis, werden aber nie eins mit ihnen, so wie das Wasser vom Glas getrennt bleibt. Das Kind hingegen erfährt eine Veränderung: Die Eindrücke dringen nicht nur in seinen Geist ein, sondern formen ihn. Die Eindrücke inkarnieren sich in ihm. Das Kind schafft gleichsam sein „geistiges Fleisch“ im Umgang mit den Dingen seiner Umgebung. Wir haben seine Geistesform absorbierenden Geist genannt. Es ist schwierig für uns, die Fähigkeiten des kindlichen Geistes zu begreifen, aber es handelt sich zweifellos um eine privilegierte Geistesform.“.[91]
In „Das kreative Kind“ stellt Maria Montessori nochmals und deutlicher als in „Kinder sind anders“ heraus, dass die kindliche Natur unbewusst menschliche Geisteskraft hervorbringt: „Das Kind verfügt über andere Kräfte, und die Schöpfung, die es vollbringt, ist keine Kleinigkeit: die Schöpfung des Ganzen. Es schafft nicht nur Sprache sondern formt auch die Organe, die es ihm ermöglichen zu sprechen. Jede körperliche Bewegung, jedes Element unserer Intelligenz, alles, womit das menschliche Individuum ausgestattet ist, wird vom Kind geschaffen.“[92]
Deutlich veranschaulicht Maria Montessori mit dem Begriff des absorbierenden Geistes das schöpferische Kräftepotential des Kindes. Kinder sind anders, und Kinder lernen auch anders als Erwachsene. Maria Montessori wie Jean Piaget verweisen hier deutlich auf die Eigenbedeutung der Kindheit, womit sie betonen, dass Kindheit nicht nur als Vorbereitung auf das Erwachsensein gesehen werden kann: Beide schreiben übereinstimmend, dass die intellektuellen und moralischen Strukturen des Kindes von denen der Erwachsenen grundsätzlich verschieden sind, dass aber das Kind dem Erwachsenen in seinen wichtigsten Funktionen sehr ähnlich ist. Wie er ist es ein aktives Wesen, und seine Aktivität unterliegt den Gesetzen des Interesses und innerer und äußerer Bedürfnisse. Jean Piaget veranschaulicht diesen Sachverhalt mit dem bekannten Beispiel von der Kaulquappe und dem Frosch. Beide brauchen Sauerstoff, doch um ihn aufzunehmen, atmet die Kaulquappe mit einem anderen Organ als der Frosch.
Das Konzept der Selbstbildung des Menschen ist in der Konzeption Maria Montessoris von den soeben dargestellten Kriterien bestimmt. Gleichzeitig muss dem Kind für seine Entwicklung in einem Selbstbildungsprozess immer die entsprechende Freiheit eingeräumt werden. Kinder können und werde nur dann die Verantwortung für sich und ihr Werden übernehmen, wenn wir ihnen die Freiheit dazu geben.
Freiarbeit
Eine sogenannte Freiarbeit ist nicht allein in der Montessori-Pädagogik[93] zu finden. Heute können wir festhalten, dass die Freiarbeit allgemein ein Erbe der Reformpädagogik ist, deren Hauptanliegen eine Pädagogik „vom Kinde aus“ war. Aus der Kritik am bestehenden öffentlichen Schulwesen entstanden zu Beginn dieses Jahrhunderts gleichzeitig mit der Montessori-Pädagogik Konzepte, die in bewusster Abgrenzung zum traditionellen Frontalunterricht eine neue, am Kind und seiner Entwicklungslage orientierte Lernwelt und Unterrichtsatmosphäre schaffen wollten. Herausragende Prinzipien dieser Konzepte waren die freie Wahl der Arbeit (des Lerngegenstandes), die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit des Kindes und die Anbindung des Lernens an Erleben und Erfahrungen der Schüler innerhalb einer didaktisch aufbereiteten Umgebung – bei Maria Montessori „vorbereitete Umgebung“.
Einer nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik gestalteten Freiarbeit liegt ein vornehmlich anthropologisch orientierter Freiheitsbegriff zugrunde. Für Maria Montessori ist Freiheit ein wesentlicher Teil der geistig-schöpferischen Grundverfassung des Menschen. Ebenso ist für sie Freiheit eine der unabdingbaren Bedingungen und gleichzeitig auch Ziel eines „Sich-Erringens“ im menschlichen Bildungsprozess.
„Wenn man in der Erziehung von der Freiheit des Kindes spricht, vergisst man oft, dass Freiheit nicht mit Sich-überlassen-Sein gleichbedeutend ist. Das Kind einfach freilassen, damit es tut, was es will, heißt nicht es frei machen. Die Freiheit ist immer eine große, positive Errungenschaft; man kann sie nicht leicht erlangen. Man gewinnt sie nicht einfach dadurch, dass man Tyrannei beseitigt, Ketten zerbricht. Freiheit ist Aufbau; man muss sie aufrichten, sowohl in der Umwelt wie in sich selbst. Hierin besteht unsere eigentlich Aufgabe, die einzige Hilfe, die wir dem Kind reichen können.“[94]
Martin Wagenscheins „Exemplarischer Unterricht“
„Ich glaube, es ist sehr viel interessanter, etwas nicht zu wissen, als Antworten zu haben, die vielleicht falsch sind. Ich habe für manches annähernde Antworten, halte manches für möglich und weiß verschiedene Dinge mit unterschiedlicher Gewissheit. Aber es gibt nichts, dessen ich mir vollkommen sicher bin, und es gibt viele Dinge, über die ich gar nichts weiß … Es beunruhigt mich nicht, dass ich etwas nicht weiß, dass ich verloren und ohne Plan in einem Universum lebe, denn so ist es ja wirklich, soweit ich sehe. Es macht mir keine Angst.“
Richard Feynman
In diesem Zusammenhang sei auch beispielhaft darauf verwiesen, dass die in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Forderung nach einer Durchforstung der Lehrpläne ineffektiv bleiben wird, wenn es keine allgemein anerkannten didaktischen Richtlinien gibt, wie die Lehrplaninhalte neu zu ordnen sind. Die Formulierung eines Kerncurriculums und die Ordnung des schuleigenen Curriculums nach exemplarischen Gesichtspunkten ist ein vielversprechender Lösungsansatz in dieser sogenannten „Lehrplanmisere“. Martin Wagenschein lässt uns zu dieser Problematik eine konkrete Antwort finden. Wir werden aber zumindest über folgende Fragen nachdenken müssen:
– Was kann aus dem Grundkanon (Kerncurriculum) eines in der Schule zu unterrichtenden Stoffes „herausgenommen“ werden und dem Charakter des Exemplarischen entsprechen?
– Wie muss dann das „Herausgenommene“ beschaffen sein?
– Wie soll – dem didaktischen Ansatz entsprechend – das, was man herausnimmt, unterrichtet werden?[95]
Was ist ein Exemplum?
Das „Exemplum“ erschöpft sich nicht in seinem Selbstwert als einzelnes; es weist aus sich heraus. Es muss eine Vielheit, eine Menge vorhanden sein, aus der etwas herausgenommen werden kann. Wenn etwas „Exemplum“ sein soll, dann muss es aus einer Vielheit, aus einer Menge „herausgenommen“ worden sein, deren Teile untereinander im Verhältnis des Gleichartigen, Ähnlichen, Übereinstimmenden oder Identischen stehen. Das, worauf ein „Exemplum“ sich gründet, nämlich auf Gleichheit, Übereinstimmung, Ähnlichkeit oder Identität, ist auch zugleich das Ziel, worauf es sich richtet. Folglich gilt damit auch, das „Um-zu“ beim Exemplum zu verdeutlichen. Ein Schreibzeug ist ein Etwas, um zu schreiben, ein Werkzeug ist etwas, um zu werken, ein Hammer ist etwas, um zu hämmern Ebenso ist das Exemplum etwas, um Gleichheit, Übereinstimmung, Ähnlichkeit oder Identität aufzuweisen.
Zwei didaktische Elemente kennzeichnen weiters das Prinzip des Exemplarischen Unterrichtes bzw. Lernens:
– Das Element des Sokratischen.
– Das Element des Genetischen.
Das sokratische Element im Exemplarischen Verfahren
Der griechische Philosoph Sokrates prägte im Altertum einen ganz bestimmten Stil des philosophischen Gespräches: das sokratische Fragen. Sokrates (bzw. Platon) vertrat die Ansicht, dass das Wissen in jedem Menschen schlummere und nur durch geeignetes Fragen geweckt werden könne. Man muss den Menschen also nicht mit Wissen „beliefern“, sondern es nur durch die richtige Methode aus ihm „herausholen“. Dieses „Herausholen des Wissens“ verglich Sokrates mit der Hebammenkunst und nannte diese Kunst „Maieutik“.
Es ist dies sicher nicht der schulische Weg, um zu „Wissen“ zu gelangen, aber ein Hinweis, wie Ausgangspunkte zu finden sind, um Wissen in uns aufnehmen zu können:
– Das Staunen des Menschen,
– das Erkennen eines Phänomens,
– die eigene Betroffenheit,
– etwas Lernen wollen,
– ein Thema, das so gestellt ist, dass sich den Schülerinnen und Schülern Fragen aufwerfen, nach deren Lösung es sie drängt.
Martin Wagenschein beschreibt das Phänomen, etwas wissen zu wollen, bzw. etwas studieren zu wollen, folgendermaßen: „Es ergreift einen, und deshalb ergreift man es. Man kniet nieder und hebt es auf. Man hat es selbst gesucht und gefunden. Deshalb vergisst man es nicht mehr.“ [96] „Je tiefer man sich eindringlich und inständig in die Klärung eines geeigneten Einzelproblems eines Faches versenkt, desto mehr gewinnt man von selbst das Ganze des Faches.“[97]
Innerhalb der exemplarischen Themen sollen die Schüler also sokratisch suchend mehr oder weniger lange Strecken der Wissensgenese gehen, die die Forscher schon vor ihnen gegangen sind. Nur so werden, nach Martin Wagenschein, Schülerinnen und Schüler befähigt, später einmal über die schon begangenen Wege hinauszuschreiten, nur wer Vorstellungen entwickeln durfte, kann einen Weg sinnvoll fortsetzen! Martin Wagenschein kritisiert am traditionellen Lehrplan vor allem, dass dort der Stoff jedes Faches einmal oder zweimal „durchlaufen“ wird. Das Wort „durchlaufen“ weist seiner Ansicht nach auf zweierlei hin:
Wir gehen von der unsicheren Annahme aus, dass es für jeden Lehrstoff einen eindeutigen Anfang und ein eindeutiges Ende gibt. Martin Wagenschein macht mit Nachdruck darauf aufmerksam, dass diese Annahme dazu verführt, den Stoff zu durcheilen, und er weist auf das Tempo hin, mit dem meist vorgegangen wird. Man beginnt in der Geschichte nun einmal mit der Urgeschichte und endet mit der Neuzeit. Im Mathematikunterricht wird auch nicht nach den Prinzipien unterrichtet, dass man vor allem beherrschen sollte, was allgemeingültig und übertragbar ist. Meist reiht sich Thema an Thema. Nach Martin Wagenschein wird bei diesen systematischen Lehrgängen die Systematik des Stoffes mit der Systematik des Denkens verwechselt[98] und die Stoffe dem eher eindimensionalen und linearen Denken angeglichen. Alles schön der Reihe nach.
Das Tempo, mit dem in unseren Schulen vorgegangen wird, ist eine Folge des systematischen (eindimensionalen) Lehrganges. Lehrerinnen und Lehrer orientieren sich bei ihrer Zeiteinteilung eher am Lehrplan oder an einer vorliegenden Lehrstoffverteilung und nicht am Erkenntnisstand oder am Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler. Die den Stoff durcheilenden Lehrerinnen und Lehrer sind also eine unausbleibliche Folge des systematischen Lehrganges.
Der systematische Lehrgang verlangt also einerseits Vollständigkeit: Er will die Systematik des jeweiligen Unterrichtsgegenstandes möglichst von Anfang bis zum Ende durchlaufen haben. Anderseits geht diese Forderung stark auf Kosten der Intensität, mit der man sich den einzelnen Stufen widmen kann: Und wenn wir den ganzen Stoff, weil dieser einfach zu umfangreich geworden ist, nicht mehr durchlaufen können, lernen wir eben jeweils nur das „Wichtigste“ der einzelnen Teilgebiete des Unterrichtsgegenstandes. Oder eher das „Wichtigste des Wichtigsten“. Oder gar nur das „Wichtigste des Wichtigsten des Wichtigsten“ ?
Gerade darin sieht Martin Wagenschein eine große Gefahr: „Ein solcher systematischer Lehrgang verführt zur Vollständigkeit, (denn er will bereitstellen) damit zur Hast und zur Ungründlichkeit. So baut er einen imposanten Schotterhaufen. Gerade, indem er sich an die Systematik klammert, begräbt er sie und verstopft den Durchblick.“[99]
Das genetische Element im Exemplarischen Verfahren
Wäre es nicht auch sehr interessant zu erfahren, woher die Geschichte all ihr Wissen über das Altertum hat? Wäre es nicht interessant zu erfahren, welche Entwicklung das Wissen durchlaufen hat, das sich unsere Kinder üblicherweise aneignen sollen? Es wäre nicht nur interessant, sondern würde viel zum Verständnis beitragen. Wie könnte man z. B. doch der Physik näherkommen, wenn man sich auf die Spur des Forschungsganges eines Gelehrten heftet.
Das Prinzip das Exemplarischen
Aus diesen oben genannten Gründen entwickelte Martin Wagenschein das Prinzip des Exemplarischen Unterrichtes, der, wie schon erwähnt, „herausnimmt“. Wenn wir in flüchtiger Berührung von Stoff zu Stoff eilen, doch so, dass in der Prüfung „abfragbares Wissen“ herauskommt, so entsteht ein Wissen, das dann in kurzer Zeit vergessen ist. Wenn wir an Stelle dieses flüchtigen Vielerlei an einer Stelle bleiben und uns eingraben, so entsteht eine Art des Lernens, die wir alle kennen und unseren Kindern doch nicht gönnen: das Sich-in-eine-Sache-Versenken.
Hier verweilt man bei „herausgenommenen“ Themen lange, behandelt sie gründlich. Es gibt dabei keine Richtung des Lehrganges, sondern jedes dieser tiefgehend behandelten Gebiete verweist auf das Ganze des jeweiligen Gegenstandes. „Das einzelne, in das man sich versenkt, ist nicht Stufe, es ist Spiegel des Ganzen.“[100]
Die pädagogische Bedeutung des Prinzips des Exemplarischen charakterisiert Martin Wagenschein in den folgenden Zitaten: „Wenn man die Themen, mit denen man sich gründlich beschäftigt, richtig auswählt, dann bleibt das, was man an ihnen lernt, nicht ein „Teil“, der zu anderen Teilen zu summieren wäre, sondern er wird stellvertretend und damit ausstrahlend aufs Ganze.“[101] „Versucht man von hier aus eine erste Definition des exemplarischen Lehrens, so könnte man sagen: Es ist die Art der Gründlichkeit, die von einem einzelnen aufs Ganze geht – und zwar, indem es durch eindringliches Verweilen den ganzen Menschen anfordert und auch das ganze des Faches (ja unter Umständen der geistigen Welt) erhellt, insofern es als Beispiel repräsentativ ist.“[102]
Bedingungen
Nach Martin Wagenschein sollten wir an den Phänomenen, möglichst nah am wirklichen Leben, lernen können. Wenn wir die Schule schon nicht in allen Fällen verlassen können, so müssen wir uns immer wieder die Fragen nach der für die pädagogischen Vorhaben geeigneten „vorbereiteten Umgebung“ stellen; Fragen, die Martin Wagenschein als Reformpädagogen ausweisen:
– Sind die für die Entwicklung der Fähigkeiten der Lernenden notwendigen Arbeitsmaterialien vorhanden?
– Bin ich als Lehrende ein entsprechender Teil dieser „vorbereiteten Umgebung“ und in der Lage den Lernenden zu helfen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln?
– Kann Lernen und Entwicklung auch in einem entspannten Feld stattfinden?
– Ist ein für die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit geeigneter Rahmen geschaffen worden (auch sozial)?
– Über welche Fähigkeiten muss eine Lehrer, ein Lehrer verfügen, um helfen zu können?
Vermittlung des Stoffes
Am Anfang steht die entdeckende und erforschende Tätigkeit der Schülerinnen und Schüler selbst. Martin Wagenschein plädiert unbedingt für die Einbeziehung von Personen in den Unterricht, die in den gefragten Bereichen mehr wissen als die Lehrerinnen und Lehrer. Die Hilfe der Lehrerinnen und der Lehrer ist entscheidend für das Finden des Allgemeingültigen, des Beispielhaften und des Übertragbaren. Sie oder er hat dafür zu sorgen, dass durch das Studium gleichsam „Plattformen“ errichtet werden, von denen weiter ausgegangen werden kann zur Errichtung neuer Plattformen. Dazu nochmals Martin Wagenschein: „Die Schule hat nicht mit dem Stoff „fertig“ zu werden, sondern sie hat die Kinder so zu lehren, dass sie mit dem Gelernten etwas „anfangen“ können.“[103]
Zusammenfassung – Kriterien des „Exemplarischen Verfahrens“
– Exempla sollen sich auszeichnen durch Bildhaftigkeit, Anschaulichkeit, Vorstellbarkeit, Eindeutigkeit, Geprägtheit und durch auffallende Nähe zum Konkreten.
– Exempla sind mehr als Nur-Singularität. Sie weisen über sich hinaus; mit und an ihnen sollen Allgemeingültigkeiten ausgesagt werden, die auch für andere Objekte zutreffen. Jede Nur-Einmaligkeit und Nur-Individualität kann nicht Exemplum sein.
– Allen Beispielen liegt ganz augenscheinlich folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Beispiel oder an mehreren Beispielen kann eine allgemeine, abstrakte Wahrheit aufgezeigt werden. Bei der Anwendung eines Exemplums ist ein Drei-Schritt zu vollziehen:
- Schritt: Auswahl und Beschreibung des Exemplums;
- Schritt: Aufzeigen der allgemeinen, abstrakten Wahrheit;
- Schritt: Bewältigung neu auftretender Fälle aufgrund der gewonnenen, allgemeinen, abstrakten Erkenntnis.
– Die Schwierigkeit der isolierenden Abstraktion ist um so größer, je vielfältiger und komplexer der Gegenstand ist, der als Exemplum dient. Bei der Auswahl des Exemplums hilft uns die Frage nach dem Wesentlichen. Das Wesentliche ergibt sich aus der Fragestellung, aus dem Wozu des Exemplums.
– Wohl nirgends leuchtet der Grundsatz, vom Bekannten auszugehen, so ein wie bei dieser pädagogischen Aufgabe.
– Exemplarischer Unterricht ist mit einer Einteilung in 45-Minuten-Einheiten ganz und gar unverträglich. Er strebt nach Persönlichkeits- und Themenorientierung und nach Zeit zur Arbeit und zur Vertiefung.
– Exemplarischer Unterricht strebt nicht nach Erleichterung, sondern nach dem Ergriffenwerden der Lernenden und der Lehrenden von einer Frage, einer Aufgabe, die die geistigen Kräfte anruft, anfordert, gliedert und steigert …
– Exemplarischer Unterricht würde dem vergleichbar sein, dass man an einigen günstigen Stellen des Lehrgangs Lichter errichtet, von den Schülerinnen und Schülern errichten lässt, Leuchttürme, so gewählt, dass sie den ganzen Weg erhellen.[104]
Zum Abschluss nochmals Martin Wagenschein: „Wissen ist Macht“, das ist kein Spruch mehr für den Menschen der Gegenwart, der soviel weiß und doch nichts als seine Ohnmacht erfahren musste. Wir hoffen für unsere Schüler, … dass sie im Gegenteil Macht über Wissen erlangen.“[105]
Zur Didaktik der Arithmetik als Beispiel einer entwicklungslogischen und sachlogischen Didaktik
Verlieren Sie vor allem nicht die Lust zu gehen: … ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen los würde … beim Stillsitzen aber und je mehr man stillsitzt, kommt einem das Übelbefinden nur umso näher … Bleibt man so am Gehen, so geht es schon.
Sören Kierkegard, Brief an Jette (1874)
Den Schülerinnen und Schülern ihre Lust am Gehen, am Entdecken zu erhalten, ist eine vordringliche Aufgabe einer an einer Didaktik des aktiven, selbst bestimmten und selbsttätigen Lernens orientierten Lehrerin. Sie wird mit den notwendigen Impulsen und mit nicht mehr als der notwendigen Unterstützung den Schülerinnen und Schülern helfen ihren Weg zu finden.
Die Lust am Gehen ist vergleichbar mit der Lust am Lernen, mit der Lust am Entdecken, mit der Lust an der Entdeckung und der (Selbst)Bildung der eigenen Fähigkeiten. Wie oft haben wir schon festgestellt, dass Schülerinnen und Schüler in vielen Schulen einfach stehen geblieben sind. Sie wirken orientierungslos und ohne Perspektive und auch ohne Freude und Lust am Lernen und an der eigenen Bildung. Diese vielen Kinder wurden meist gegängelt von Lehrerinnen und Lehrern, die den wichtigsten Selbstbildungsprozess jedes Heranwachsenden – das Suchen nach der eigenen Lebensperspektive und des individuellen Lebenssinnes auf der Grundlage der Bildung der ureigenen Fähigkeiten des Kindes– permanent verhindern, indem sie vorgeben angeblich zu wissen, was ein Heranwachsender zu tun hat und auch verlangen, dass Kinder gerade das tun, was sie verlangen. Somit lernen Kinder (ihnen zu) folgen, aber niemals ihren eigenen Weg zu suchen und zu finden.
Den nächsten Schritt zum Verständnis einer Didaktik des aktiven, selbstbestimmten und Lebenssinn gebenden Lernens und Lebens setzend, werden wir – im Bild des Gehens bleibend – lieber langsam vorgehen und noch einen Blick in schon vorhandene Anleitungen und „Wegebeschreibungen“ werfen. Mehr als 350 Jahre sind vergangen, seit J. Amos Comenius seine „Große Didaktik“ geschrieben hat[106] – sie ist heute noch genauso aktuell wie damals.
Oft verwischt die vielfältige Verwendung des Terminus Didaktik seine eindeutige Bestimmtheit. Es mehren sich die Diskussionen, die beinahe jede pädagogische Maßnahme adjektivisch als „didaktische“ kennzeichnen. Ein Grund mehr, zu den Wurzeln zurückzugehen, zu Johann Amos Comenius: „Didaktik bedeutet die Kunst des Lehrens“[107]. J. A. Comenius zum Wert, zu den Intentionen und der Notwendigkeit einer guten Didaktik: „In jüngster Zeit aber ließ Gott das Morgenrot eines neuen Zeitalters heraufziehen und berief in Deutschland einige ausgezeichnete Männer, welche, der Verwirrungen in den bisherigen Schulmethoden überdrüssig, auf einen leichteren und kürzeren Weg sannen, die Sprachen und Künste zu lehren.“[108]
Wir gehen von dem Interesse aus, welche Bedeutung eine didaktische Theorie für die alltägliche Arbeit als Lehrerin und als Lehrer haben kann und versuchen eine Konkretisierung in praktischen didaktischen Fragestellungen:
– Kann ich mir von einer didaktischen Theorie erwarten, dass sie mir hilft, eine Antwort zu finden, was ich morgen, wie und warum unterrichten soll?
– Bietet sie mir Begründungen für mein Tun und Handeln in meiner beruflichen Situation? Erhalte ich Orientierungshinweise, ein klares Konzept, wohin mein Weg führt?
– In welchem Zusammenhang steht eine didaktische Theorie mit meiner Lebensorientierung, mit meinem Menschenbild und meiner Auffassung meiner beruflichen Rolle?
– Erhalte ich konkrete Hinweise für meine Unterrichtsplanung?
– Besteht ein Zusammenhang zwischen einer didaktischen Theorie und den anzuwendenden Methoden?
Didaktik ist (unter anderem)
– die Analyse und Planung unterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse und deshalb kein unmittelbares Handeln, sondern eine Theorie. Didaktik ist aber immer auch
– die Kritik an einer bestimmten Praxis, das heißt auf eine vorhandene und gewollte Praxis bezogen und deshalb nicht nur Theorie, sondern das Durchdenken und Verantworten von Praxis.
– Didaktik kann sich auch als Theorie der Ermöglichung, der Herstellung und Förderung jenes Ausschnittes aus dem Person-Welt-Bezug verstehen, der in planmäßigem Lehren und Lernen fassbar ist.
Nun gibt es die Didaktik ebenso wenig wie die Erziehungstheorie, die Lernpsychologie oder die Theorie der Friedenssicherung. Es gibt verschiedene Theorien und Modelle unterrichtlichen Lehrens und Lernens. Unterricht ist ein viel zu komplizierter Prozess, um adäquat von einer Theorie erhellt werden zu können. Für unsere eigene Vorgehensweise weist uns J. A. Comenius in eine „didaktische“ Richtung: „Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler aber dennoch mehr lernen; und bei der in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze Mühe zugunsten von mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhaftem Fortschritt herrscht.“[109]
In Konsequenz unseres didaktischen Anspruchs des aktiven, sinnfindenden Lernens legen wir dem pädagogischen Handeln der Lehrerin die Theorie des exemplarischen Lehrens und Lernens nach Martin Wagenschein und die Grundsätze des didaktischen Systems der Montessori-Pädagogik in Sinne des „Hilf mir, es selbst zu tun!“ zugrunde.
Die didaktische Ordnung der Arithmetik, die wir hier als Beispiel einer entwicklungslogischen und sachlogischen Didaktik ausführen, ist zu vergleichen mit einer Landkarte im Kopf der Lehrerin. Sie muss immer wissen, wo sich ein Schülerin oder ein Schüler eben befindet, wenn sie oder er seinen Weg sucht, ihre oder seine mathematischen Fähigkeiten entdeckend. Sie muss ihr oder ihm die wichtigen Hinweise, die helfenden Impulse, die richtige Darbietung mit dem Entwicklungsmaterial geben können, wenn die Schülerin oder der Schüler einmal nicht mehr weiter gehen kann. Sie muss ihr oder ihm auch eine Richtung zeigen können, aber gleichzeitig die Verantwortung lassen, ihren oder seinen Weg zu finden.
In Konsequenz der Anwendung einer didaktischen Ordnung nach den Grundsätzen der Montessori-Pädagogik ist die folgende Darstellung des didaktischen Leitfadens der Arithmetik „die Beschreibung der Entwicklung der fasziniert und sicher in die Welt der Zahlen eindringenden Intelligenz.“[110] Es ist dies ein wunderbares Zitat aus einem viel zu wenig bekannten Werk Maria Montessoris, der so genannten „Psychoarithmetik“.[111] Maria Montessori beschreibt hier, wie der Titel des Werkes schon ausdrückt, die Ordnung der Arithmetik für die Grundschule in einem sachlogischen Aufbau unter der Berücksichtigung der ganzheitlichen Entwicklung des Kindes, insbesondere seines mathematischen Geistes.
Die Entdeckung und Bildung des mathematischen Geistes hat wie die (Aus)Bildung aller Fähigkeiten des Individuums lebensbedeutenden Sinn, weil das, was man sich selbst erfinden muss, im Verstand die Bahn zurücklässt, die auch bei anderen Gelegenheiten gebraucht werden kann.[112] In der Wunderwelt der Mathematik selbst forschen zu können, ist lustvoll, ist geistig befriedigend, ist ebenso eine Entdeckung eines Teiles des lernenden Individuums selbst. Das Studium der Mathematik wird dann sinnvoll und sinngebend, wenn ein Individuum seine mathematischen Fähigkeiten und seinen mathematischen Geist als integralen Bestandteil seiner Persönlichkeit erleben kann. Die Arbeit mit dem Montessori-Entwicklungsmaterial im Sinne der Psychoarithmetik auch im Kontext mit dem didaktisch richtungsweisenden exemplarischen Lehren und Lernen Martin Wagenscheins ermöglichen diese persönlichkeitsorientierte Qualität des Lernens.
Die Lehrerin und der Lehrer müssen im Sinne des exemplarischen Unterrichtens und Lernens wissen, was „wesentlich“ und „beispielhaft“ ist, wo die „Plattform“ ist, wo sich das Verweilen, das Vertiefen lohnt. Sie oder er müssen sich für ihre Schülerinnen und Schüler die Frage stellen, was das Mathematische an der Mathematik ist. Die Orientierung an der Psychoarithmetik ist hier hilfreich und bietet eine exemplarische didaktische Ordnung. In der didaktischen Ordnung Maria Montessoris werden der in die Welt der Zahlen eindringenden Intelligenz des Kindes drei exemplarische Themen geboten. Diese Themen sind Ausgangspunkte – Martin Wagenschein nennt sie „Plattformen“, von denen aus weitere Entdeckungen unternommen werden können:
- Eindringen in die Welt der Zahlen mit ihren Ausdrücken und Symbolen.
- Präsentation der dezimalen Organisation der Quantitäten – das Verstehen des Zehnersystems.
- Betrachtung des Wertes der Ziffer entsprechend ihrer Position in der dezimalen Organisation und die Operationen.
Die Materialien sind den Themen zugeordnet und innerhalb der Themen in einem Aufbau dargestellt, der sich an der Entwicklung des Kindes und am logischen mathematischen Aufbau orientiert, wobei die Groborientierung im
– Begreifen und Erlernen der Zahlen,
– Begreifen und Erlernen des Zahlensystems und
– Begreifen und Erlernen der Grundoperationen
besteht.
Der didaktische Leitfaden zur Arithmetik ist ein Plan für den Kopf der Lehrerin und des Lehrers, um dem Kind in der Entwicklung des mathematischen Geistes zu helfen. Er ist erst in zweiter Linie eine Ordnung für Kinder. Wenn die Lehrerin ihre didaktische Ordnung einhalten kann, können die Kinder in einem wünschenswerten Maß selbst entdecken, experimentieren und forschen, um Wahrheiten immer wieder selbst erkunden zu können. Der folgende Aufbau der Arithmetik ermöglicht der Lehrerin, den Überblick über die Entwicklung des Kindes zu bewahren. In dieser Ordnung kann dem Kind geholfen werden, „es selbst zu tun“. Folgt die Lehrerin keiner didaktischen Ordnung, wird sie dem Kind nur in unzureichender Weise helfen können. Wir beginnen den didaktischen Leitfaden der Arithmetik mit dem ersten Zählen.
Das Eindringen in die Welt der Zahlen
Für das Eindringen in die Welt der Zahlen mit ihren Ausdrücken und Symbolen bieten wir den Kindern die „Blauroten oder numerischen Stangen“, den „Spindelkasten“ und die „Ziffern und Chips“ an. Zu den „Numerischen Stangen“ gehören auch noch „Sandpapierziffern“ und ein „Kästchen mit Ziffern von 1-10“.
In der gemeinsamen Arbeit werden die Kinder die Beziehungen zwischen den Längen der Stangen erleben, Ordnungen bilden und schließlich auch eine Ordnung von der kürzesten zur längsten Stange herstellen. Diese Ordnung entspricht auch dem Aufbau der Ziffernfolge von 1-10. In einem weiteren Schritt werden die Kinder die notwendige Assoziation zwischen dem Zahlensymbol und der Quantität herstellen. Maria Montessori nennt die blau-roten Stangen ein Material der festen Einheiten. Die Menge ist nicht zerlegbar. Bei der Arbeit gehen wir von dem Begreifen der Menge aus und ordnen später dieser die Zahl zu.
Interessanterweise orientierten sich die Menschen an festen Mengen, als sie das Zählen erfanden. In dieser Anlehnung an die Phylogenese bietet Maria Montessori den Kindern zur Entdeckung des Zählens auch ein Material mit festen Einheiten an. Mit den numerischen Stangen, von denen es nicht mehr als zehn gibt, will man nicht etwas enthüllen oder grundsätzlich Neues einführen; sie sollen vielmehr dazu dienen, zufällig angeeignet und vage Vorstellungen zu ordnen und zu verdeutlichen. Es genügt, dem Kind eine einfache Einführung zu geben, um sein lebhaftes Interesse am Zahlensystem zu wecken. An jeder Stange kann die Summe der aufeinanderfolgenden Einheiten vom Stangenanfang bis zum Stangenende gezählt werden.
Die gestuft angeordneten Stangen dienen nicht allein dem Zählen; sie verdeutlichen auch den Zusammenhang zwischen den durch Zahlen gekennzeichneten Quantitäten sowie der gegenseitigen Stellung bezüglich der jeweiligen Quantität. Die Eins ist die erste Stange, die Zehn die letzte; die dritte liegt an dritter Stelle zwischen der Zwei und der Vier, usw. Das Interessante am System ist also nicht allein das Zählen, sondern auch die Beziehungen zwischen den Stangen.
Das System der Stangen birgt noch weitere Prinzipien in sich: Es stellt den Kern des Dezimalsystems und gleichzeitig das Metrische System dar.
Aus diesem Grund erfolgt die Einführung von „1“ bis „10“.
Zur Festigung dieses grundlegend wichtigen Bildes werden im nächsten Schritt die Zahlensymbole eingeführt und in einem nächsten Schritt mit den entsprechenden Quantitäten in Verbindung gebracht.
Zur Einführung der Zahlensymbole verwenden wir die Sandpapierziffern (1,2,3,4,5,6,7,8,9,0). Zur Verbindung der Zahlensymbole mit den entsprechenden Quantitäten werden Ziffernkärtchen von 1-10 verwendet.
Kombinationen und erste Vorbereitung auf Operationen
Es bieten sich in weiterer Folge Verschiebungs- und Vergleichsübungen an. Es ist darauf zu achten, dass sich alle Kombinationen innerhalb des Zehnerbereiches bewegen. Es ist offensichtlich, dass bei jedem Zusammensetzen verschiedener Stangen eine Addition, bei jeder Zerlegung eine Subtraktion vollzogen wird.
Die Methode der Arbeit mit den Stangen kann Erwachsene ebenso faszinieren wie ein Kind. So könnte er beispielsweise die Beobachtung machen, dass die Anzahl der möglichen Ergänzungen fünf (6+4; 7+3; 8+2; 9+1; 10+0) beträgt, d. h. also die Hälfte von Zehn, und dass eine Stange übrig bleibt, die Fünfer-Stange. Ordnet man die Stangen in besagter Weise an, dann wird klar, dass die Summe aller dargestellten Einheiten 5 x 10 + 5 = 55 beträgt.
Das bedeutet, dass wir ein Verfahren gefunden haben, das es auf einzigartige Weise erleichtert, die Summe aller in einem bestimmten System enthaltenen Einheiten zu berechnen. Dazu brauchen wir lediglich die größte Zahl mit ihrer Hälfte zu multiplizieren und dann eben diese Hälfte zu addieren.
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Bei der Arbeit mit den „Spindeln und den Spindelkästen“ erfahren die Kinder eine Bestätigung des mit den Numerischen Stangen Gelernten und in der Folge wird die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Ziffer an und für sich gelenkt. Im Gegensatz zu den „Numerischen Stangen“ handelt es sich bei diesem Material um ein Material der losen Einheiten. Maria Montessori subsumiert die „Spindeln“ und die folgenden „Ziffern und Chips“ unter das Material der losen Einheiten. Hier werden die Mengen aus einzelnen Einheiten gebildet und hängen nicht mehr untrennbar zusammen. Auch dies entspricht einem phylogenetischen Gesichtspunkt, wie ich in der Geschichte der Erfindung des Zählens und der Zahlen noch ausführen werde.
Bei diesem Material wird die Menge der Zahl zugeordnet. Gefragt ist die einer Ziffer entsprechende Quantität. Die 10 ist in diesem Material nicht mehr existent. Begründung: Nach dem Gesetz des Zehnersystems sind pro Stellenwert höchstens 9 Einheiten zulässig – daher: 0-9. Die Arbeit mit dem Spindelkasten verdeutlich jenes Gesetz unseres Zehnersystems, das pro Stellenwert höchstens neun Einheiten zulässt. Dieses Charakteristikum unseres Zahlensystems werden wir noch intensiv bei der Einführung in das Denken in das Zehnersystem verdeutlichen.
Wurde bei der Arbeit mit den „Numerischen Stangen“ schon auf das Denken in einem Zehnersystem und im metrischen System hingewiesen, so finden wir in diesem Material eine weitere Besonderheit: Mit diesem Material kann auch die „leere Menge“ (0) eingeführt werden. Zur Illustration und zum besseren Verständnis Maria Montessori und ihre Lektion über die Null:
„Wir warten, bis das Kind auf das Fach mit der Null zeigt und uns fragt: ‚Und hier, was gehört dahin?’, um zu antworten: „Nichts, null ist nichts.“
Doch das genügt nicht. Man muss es wahrnehmen lassen, was nichts bedeutet. Hierfür haben wir Übungen, die den Kindern sehr viel Spaß machen. Sie sitzen auf ihren Sesselchen und ich trete in ihre Mitte, wende mich dann an eines der Kinder, das die Zahlenübung bereits gemacht hat, und sage zu ihm: ‚Komm, mein Lieber, komm null Mal zu mir!’ Das Kind läuft fast immer zu mir und kehrt dann auf seinen Platz zurück. ‚Aber mein Kleiner, du bist einmal gekommen und ich hatte dir doch null Mal gesagt.“ Da fängt das Staunen an. ‚Ja aber, was hätte ich denn tun sollen?’ ‚Nichts, null ist nichts.’ ‚Aber, wie kann man denn nichts tun?’ ‚Man tut es nicht!’ …“
Bei dem Material „Ziffern und Chips“, ebenso ein Material der losen Einheiten, wird sowohl die Menge der Zahl als auch die Zahl der Menge zugeordnet. Gefragt ist die richtige Reihenfolge und die Zuordnung der entsprechenden Quantität. Die Kinder üben nochmals die richtige Reihenfolge der Ziffern und die Zuordnungen von Menge und entsprechender Zahl. Die Erweiterung besteht bei diesem Material im Erleben von geraden und ungeraden Zahlen und im ersten Legen einer Zweierreihe.
Martin Wagenschein verweist in seiner Diskussion des exemplarischen Lehrens und Lernens auf den genetischen Aspekt des Exemplums und die Wichtigkeit dieses Aspektes: Es soll dem Lernenden möglich sein, die Entstehungsgeschichte, die Ideengeschichte, dessen, was er eben lernt nachvollziehen zu können. Gerade dieser Nachvollzug soll es der Schülerin, dem Schüler ermöglichen, seine eigene Vorstellung, sein eigenes Bewusstsein von dem zu Lernenden aufzubauen. Martin Wagenschein trifft sich hier mit Maria Montessoris kosmischer Erziehung und ihrer Idee, den Kindern eine imaginative Sicht zu geben und die Imaginationsfähigkeit des Kindes zu stärken. Hier die Grundlagen und Ideen für eine für die Entwicklung der Kinder äußerst wichtige Geschichte.
Die Geschichte der Zahlen und des Zählens
Die Erfindung des Zählens und der Zahlen stürzte die Menschheit in eines ihrer größten geistigen Abenteuer. Es dauert bis heute an.
Die Geschichte des Zählens ist eng verbunden mit der Geschichte der Sprache und der Geschichte der Schrift.[113]
Die Geschichte des Zählens und der Zahlen ist ein ganz bedeutendes und spannendes Kapitel der Menschheitsgeschichte überhaupt. Zählen ist eine der großen Schöpfungen der Menschheit.
Jahrtausende hat die Menschheit für diese schöpferische Entwicklung gebraucht. Diese phylogenetische Entwicklung[114] wiederholt jedes Kind in den Entwicklungsstadien seiner Ontogenese, in seinem Werden, in seiner individuellen Entwicklung.
Wir erzählen den Kindern eine individuell zusammengestellte Geschichte. Wir erzählen Kindern die Geschichte der Erfindung des Zählens und der Zahlen, damit diese ein Bewusstsein entwickeln können von der Entwicklung der Menschheit und ihrer eigenen Entwicklung, von ihrem Werden und Gewordensein. Wir erzählen ihnen eine Geschichte, wie Menschen ihre (äußere) Welt geordnet haben, indem sie eine innere Ordnung (geistig) gefunden haben. Denken ist Ordnen des Tuns.
In diesem Sinn müssen wir Kindern die Gelegenheit geben, dass sie in ihrer individuellen Vorstellungskraft diese Entwicklung der Menschheit in ihnen selbst und auch ihre eigene Entwicklung vollziehen können, indem wir ihr imaginäres Denken anregen und fördern. Maria Montessori zur imaginativen Sicht der Dinge: „ …, ist die imaginative Sicht von der bloßen Wahrnehmung eines Gegenstandes gänzlich verschieden, denn sie hat keine Grenzen. Die Imagination kann nicht nur unendliche Räume durchmessen, sondern auch unendliche Zeitspannen; wir können die Epochen nach rückwärts verfolgen und eine Vision der Erde haben, wie se damals war, mitsamt den Geschöpfen, die sie damals bewohnten. Um zu erfahren, ob ein Kind etwas verstanden hat oder nicht, sollten wir zu ermitteln versuchen, ob es sich eine geistige Vorstellung davon bilden kann, ob es über die Ebene des bloßen Verstehens hinausgehen kann … Das Geheimnis eines guten Unterrichts ist es, die Intelligenz des Kindes als fruchtbares Feld anzusehen, auf dem Saat ausgestreut werden kann, um in der Wärme der feurigen Imagination zu keimen. Deshalb ist es nicht nur unser Ziel, das Kind etwas verstehen zu lassen und, weniger noch, es zu zwingen, etwas im Gedächtnis zu behalten, sondern seine Imagination so zu berühren, dass sein innerster Kern begeistert wird.“[115]
Wie das Zählen und wie die Zahlen entstanden sein könnten
Jede Lehrerin muss ihre eigene Geschichte erzählen. Es ist ihre Geschichte und hat eine wahre Geschichte zu sein. Wir beginnen die Geschichte des Zählens und der Zahlen mit einer Vorstellung:
Es gibt die Welt und alle Dinge in ihr, aber niemand hat sie je gezählt! Warum und wozu auch? (Es gibt auch heute noch Menschen mit einem hohen geistigen Niveau, die nicht in unserem Sinn zählen können, aber zu uns unvorstellbaren geistigen Leistungen imstande sind. Ich verweise hier auf die australischen Aborigines. Sie zählen eins, zwei, viele …[116]). Es musste wohl einen oder mehrere bedeutende Anlässe in der Geschichte der Menschheit gegeben haben, die die Menschen zur Erfindung des Zählens veranlasst haben:
Manche Forscher meinen, dass der noch als Nomade lebende Mensch, in lebenswichtiger Abhängigkeit von seinen Tieren lebend, wissen wollte, ob er noch alle Tiere hatte … Er konnte aber nicht zählen … er begann zuzuordnen und Verbindungen herzustellen.
Aus dem Ende der Altsteinzeit, vor 10 000 Jahren, stammen Tierknochen mit eingeritzten Kerben, die als primitive Zählinstrumente dienten. Die Kerben[117] entsprachen noch dem einfachsten denkbaren Zeichensystem – die Finger hoch strecken und für jede Zahl ein Zeichen setzen … : I, II, III , eine Zählweise, die unseren Kindern heute noch vertraut ist.[118] Doch dazu mussten das Zählen und die Zahlen wohl schon abstrakt erfunden sein. Also gibt es noch eine Vorstufe: Der Vergleich einer Konstanten mit einer Variablen. Der Hirte konnte vergleichen, ob die Anzahl der Tiere der Anzahl der Kerben, oder der Finger oder der gelegten Stöckchen entsprach. Wie viele es waren konnte er aber mit Sicherheit nicht benennen. Der Vergleich oder das „Zählen“ mit den Fingern hatte leider einen entscheidenden Nachteil: mehr als 10 (oder 20 mit Beiziehen der Zehen) konnten nicht verglichen oder gezählt werden. Andere Körperteile dienten in der Folge ebenso zum Vergleich oder zum Zählen. Kinder sagen auch einfach: „So viele!“ und vergleichen mit den Fingern. Zuordnungen und Vergleiche zu Körperteilen, wie z.B. zu den Fingern und den Zehen waren naheliegend. Beispiele körperbezogenen „Zählverhaltens“ finden gibt es aber nicht nur vergleichend mit Fingern und Zehen.
Wenn ich nun nach diesem System des Herstellens von Zuordnungen und Verbindungen eine größere Menge von Dingen erfassen möchte, kann es sein, dass ich mit den Zuordnungs- und Vergleichsmöglichkeiten nicht mehr das Auslangen finde. Neue Lösungen des auftretenden Problems mussten erfunden werden:
Zusammenfassungen, wie z.B. Bündelungen von Steinen oder Stäbchen zu Gruppen erleichterten die Ordnung. Die Erfindung eines Helfersystems ist ein weiterer kreativer Schritt zur Problemlösung: Ein Finger meines Partner steht beispielsweise für meine 10 Finger, kann als wichtiger Entwicklungsschritt von den Zusammenfassungen zu einem System nachvollzogen werden.
Die Weiterentwicklung verschiedener voneinander unabhängiger Kulturen brachte verschiedene Schritte in der Entwicklung des Zählens und der Zahlen mit sich.
Wer das Zählen erfunden hat, wissen wir mit endgültiger Sicherheit nicht. Wir wissen aber, dass bei den frühen Hochkulturen der Sumerer und der Ägypter Zählsysteme mit wenigen Keilschriftzeichen oder Hieroglyphen auftauchten.
Die Sumerer
Durch die Einführung eines Verwaltungssystems und die Notwendigkeit einer Steuern- und Abgabenerfassung entwickelten die Sumerer ein System der Aufzeichnung der Steuern und Abgaben.
Die Leiter der Verwaltung von Susa verfügten über ein ziemlich ausgearbeitetes System der Buchführung, wobei eine gegebene Zahl, die z.B. der Abschlusssumme bei einem Handelsgeschäft entspricht, durch eine bestimmte Anzahl von Calculi – Gegenstände aus ungebranntem Ton unterschiedlicher Größe und Form – dargestellt wird; die Calculi stehen für die Einheiten eines Zahlensystems. Sie werden daraufhin in eine hohle, aus Lehm geknetete Bulle von der Form einer Kugel oder eines Eies eingeschlossen, die versiegelt wird, um die Echtheit und Unverletzlichkeit zu garantieren.
Die Bulle wird in den Archiven aufbewahrt und zur Überprüfung oder bei Streitfällen zwischen den Parteien zerschlagen, um die Calculi nachzählen zu können.
Dieses System der Buchführung bringt den Nachteil mit sich, dass bei jeder Überprüfung des festgehaltenen Geschäftes die Bulle zerstört werden muss. Zur Überwindung dieser Schwierigkeit wandten die Buchhalter von Susa ein Verfahren an, das dem Gebrauch der Kerbhölzer entspricht. Auf der Außenseite der Bulle wurde die Anzahl und die Form der eingeschlossenen Calculi festgehalten – mit verschiedenen Zeichen eingekerbt. Es handelt sich sozusagen um ein Inhaltsverzeichnis.
Mit der Zeit wurde aber auf diese doppelte Buchführung verzichtet. Die Bullen wurden durch roh abgerundete oder längliche Lehmbrocken ersetzt, die auf der Vorderseite dieselben Informationen enthalten, die früher auf der Bulle vermerkt worden waren. Die Tontäfelchen werden mit der Zeit immer gleichmäßiger, die Zahlzeichen nahmen immer regelmäßigere Formen an. Weil es auch leere Bullen geben konnte, mussten die Babylonier auch ein besonderes Zeichen erfinden, eines für nichts, eines für null.
Stellenwerte
Unter allen alten Systemen stach das sumerische bereits um 1800 v.Chr. durch eine Neuerung heraus: Die Ziffernsymbole wurden nach ihrem Stellenwert nebeneinander gesetzt. Das Additive Prinzip der Ägypter und der Römer stellte hier wieder einen Rückschritt dar.
In unserem Zehnersystem bedeutet dies:
Die „1“ hat nur den Wert eins, wenn sie rechts außen steht. Mit jeder Stelle, die sie nach links rückt, verzehnfacht sich ihr Wert wie in 10, 100 oder 1000 – übrigens ein Relikt der im Osten üblichen Schreibweise von rechts nach links.
Dieses Positionssystem erforderte jedoch ein neues Zeichen, das nur die Stelle markierte, aber ansonsten „nichts“ darstellte – die Null.
Somit können die Sumerer als die Erfinder
– der ersten Zifferndarstellung,
– der ersten Systems der Stellenwerte und
– der Null gelten.
Es wird aber noch lange dauern, bis sich diese Erfindungen endgültig durchsetzen werden.
Die Ägypter
Mit ihren seit Ende des vierten Jahrtausends v. Chr. verwandten Ziffern, die Bestandteil der Hieroglyphenschrift waren, konnten die Ägypter ganze Zahlen bis zu einer Million oder mehr darstellen. Es handelte sich um eine Zahlschrift auf dezimaler Basis, der das additive Prinzip zugrunde lag.
Die Ägypter addierten Zahlen nach einem simplen Verfahren: nebeneinanderstehende Zeichen wurden einfach zusammengezählt. Dieses Ziffernsystem war ein Abbild des Zählens mit Gegenständen wie Kieseln, Stäbchen oder anderen. Um eine bestimmte Zahl mit Hilfe von Hieroglyphen wiederzugeben, mussten die den einzelnen Einheiten zugeordneten Ziffern ihrer Anzahl entsprechend wiederholt werden.
Die Hypothese von der Beeinflussung des ägyptischen Zahlensystems durch das sumerische ist letztlich nicht erwiesen. Die Notwendigkeit der Entwicklung eines Zahlensystems ergibt sich jedoch sehr stichhältig aus der Geschichte: Landvermessungen, Astronomie, Verwaltung und dgl.
Der Zahlenbedarf der Sumerer wie auch der Ägypter war praxisorientiert: Sie mussten stets aufs Neue Land vermessen, Vorräte anlegen und Steuern eintreiben. Sie beobachteten den Lauf der Gestirne und legten einen 365-Tage-Kalender an.
Bereits die Ägypter orientierten sich an der 10 als Zähleinheit: ein frühes Beispiel eines dekadischen Systems. Sie benutzten Zahlenzeichen mit 7 Hieroglyphen!
Die Römer
Die römischen Ziffern sind mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Einritzungen der Kerbhölzer abgeleitet. Das römische Zahlensystem bringt keine qualitative Erneuerung, bis auf einige Zeichen, mit denen Zifferngruppen zur Vereinfachung der Schreibweise dargestellt wurden. Auch das römische System ist ein additives System.
I 1 |
II 2 |
III 3 |
IV 4 |
V 5 |
VI 6 |
VII 7 |
VIII 8 |
IX 9 |
X 10 |
XI 11 |
XIV 14 |
XV 15 |
XIX 19 |
XX 20 |
XL 40 |
L 50 |
LX 60 |
LXX 70 |
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C 100 |
CC 200 |
D 500 |
M 1000 |
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Das Rechnen mit Schnüren
Die Inkas rechneten mit Schnüren – den sogenannten Quipus. Eine Zahlenschrift ist nicht überliefert.
In jeder Stadt, jedem Dorf und jedem Distrikt des Inkareiches hatten königliche Beamte die Aufgabe, Quipus[119] herzustellen und zu deuten, anderseits die Regierung über wichtige Angelegenheiten zu informieren. Alljährlich registrierten sie die in einer Region abgelieferten Produkte und zählten die Angehörigen der verschiedenen Schichten der Bevölkerung. Die Resultate übertrugen sie auf Knotenschnüre und gaben diese Register schließlich weiter in die Hauptstadt.[120]
Woher kommt die Schreibweise unserer Zahlen?
Die Entwicklung der bei uns gebräuchlichen Zahlen und des Zahlensystems, in dem wir denken, begann neu: Es dauerte bis zum 6. nachchristlichen Jahrhundert, bis die 0 von den Hindu-Kultur Indiens wiederentdeckt wurde. Zwei Jahrhunderte später hatten die Sanskrit sprechenden indischen Völker unser heutiges dezimales Positionssystem einschließlich der Null entwickelt.
Die Araber, ursprünglich ohne Zahlensystem, übernahmen nun eine einzigartige Vermittlerrolle. Sie brachten die indischen Ideen ins eroberte Spanien. Von dort wurden die „arabischen“ Ziffern auch den lateinischen Gelehrten bekannt und fanden damit in Europa immer mehr Verbreitung. Das System der Stellenwerte wird aus diesem Grund wie die arabische Schrift von rechts nach links gelesen.
Hinhaltenden Widerstand löste aber weiterhin die Null aus: „Wie kann etwas, das selbst nichts ist, zu anderem hinzugefügt, dessen Wert verzehnfachen?“ Man übersah den Unterschied zwischen Zeichen und Bezeichnetem, zwischen isoliertem Wert und Stellenwert.
Es dauerte aber bis ins 16. Jhdt., bis es dem Bergwerksbuchhalter Adam Riese aus Staffelstein/Main gelang, das indisch-arabische Zahlsystem in einem Mathematikbuch so darzustellen, dass es sich auch im Volk durchzusetzen begann.
Adam Riese verdanken wir die Durchsetzung des Systems der Stellenwerte und der Null durch sein Werk: „Rechnung auf der liniken und federn auff allerley handtierung“.
Die Vorteile wurden langsam einsichtig:
Das System der Stellenwerte benötigt weniger Zeichen. Man kommt mit neun Grundzeichen und der Null aus, und es ist möglich, Zahlen beliebiger Größe darzustellen. Dieses Zahlensystem ist unendlich. Außerdem ermöglicht es das praktische Rechnen auf Papier.
Aber es fehlten die Namen für große Zahlen – erst 1870 wird der Begriff der Milliarde eingeführt.
Aktivität
Erfinden Sie eine (ihre) Geschichte der Zahlen und des Zählens!
Präsentation der dezimalen Organisation der Quantitäten – das Verstehen des Zehnersystems
Das Verstehen des Systems – ein notwendiger Lernschritt
Das Dezimalsystem ist die Grundlage für das Ordnen der Zahlen. Das Rechnen ist nichts anderes als die weitgehende Abkürzung des Zählvorganges. Die ersten Grundsteine des Dezimalsystems wurden bereits bei der Arbeit mit den numerischen Stangen gelegt: Mit dem Zählen der Quantitäten innerhalb des ersten Zehners und mit der Feststellung, dass diese durch neun Zeichen und die Null dargestellt werden. „Der Schlüssel des Dezimalsystems liegt im letzten Übergang, von der Neun zur Zehn. Sobald nämlich die Anzahl von neun Einheiten überschritten wird, gibt es zur Darstellung der neuen Gruppe keine Ziffern mehr, und man muss wieder von vorne anfangen, indem man die Ziffer Eins verwendet.“[121] Es ist die Position der Ziffer, welche die verschiedenen dazugehörenden Werte angibt. Was hingegen den absoluten Wert betrifft, so ist dieser an jeder der drei angegebenen Positionen der gleiche.[122]
H Z E[123]
1 1 1
2 2 2
3 3 3
usw.
Wir finden in unserem System nur neun Zeichen und die Null. Diese Zeichen werden im System zur Erreichung eines höheren Grades an Klarheit in Stellenwerte geordnet. Als Material zur Darstellung des Zehnersystems verwenden wir das „Goldene Perlenmaterial und Ziffernkarten“.
Der erste Lernschritt ist die Einführung in die grundlegenden Begriffe des Zehnersystems, die auch die Stellewerte bezeichnen: Wir benennen Einer, Zehner, Hunderter, Tausender, …
In einem 2. Lernschritt bauen wir nun das Stellenwertsystem mit dem Goldenen Perlenmaterial von rechts nach links, also gegen die Schreibrichtung, auf. Wichtig dabei: Der Wechsel erfolgt immer nach 9 Einheiten.
In einem 3. Lernschritt zeigen wir, dass in jedem Stellenwert 10 des jeweils vorhergehenden enthalten sind. Diese Darbietung erfolgt nun logischerweise in der umgekehrten Arbeitsrichtung zu Lernschritt zwei, in der Schreibrichtung, weil wir in der Richtung vom höheren zum niedrigeren Stellenwert arbeiten.
Der 4. Lernschritt besteht nun in der Darstellung des Materials in einer Form, welche die Idee des Zehnersystems an sich widerspiegelt und führt zum exemplarischen Gesamtaufbau des Zehnersystems. Es werden das „Goldene Perlematerial“ und die „Ziffernkarten“ in gleicher Art und Weise aufgebaut. Nun können wir große Zahlen bilden und die Quantitäten den Ziffern zuordnen und umgekehrt!
Bei dieser Arbeit festigt sich die Erkenntnis, dass es für jeden Stellenwert lediglich neun Einheiten gibt. Haben die Kinder diese Ordnung verstanden, macht ihnen die Bildung großer Zahlen keine Schwierigkeiten mehr. So kann auch das Interesse der Kinder nach großen Zahlen didaktisch fundiert befriedigt werden.
Der 5. Lernschritt ist eine wichtige Ergänzung: Nachdem wir das Zehnersystem aufgebaut haben, gehen wir nun daran, den Zehner „aufzubrechen“. Er besteht ja schließlich aus zehn Einern – diese Arbeit ist ein unbedingte Voraussetzung für das „Tauschen“, das wir bei allen Operationen mit mehrstelligen Zahlen brauchen.
Ausgangspunkt ist bei Maria Montessori meist ein sogenannte Ganzheit, wie z. B. unser Zahlensystem eine darstellt. Zu diesem System gehörende aber nicht konstitutive Details fügt sie in ihrem pädagogischen Verständnis später ein. Jedoch kann das Erlernen dieser Details auch gleichzeitig erfolgen. Dazu ist kein besonderes didaktisches System erforderlich. Aber: Alle Details müssen früher oder später gelernt werden. Hat das Kind das Zehnersystem verstanden, können nun „Einzelheiten“ eingefügt werden. Dazu werden sogenannte Parallelübungen angeboten.
Parallelübungen
Parallelübungen werden diejenigen genannt, die gleichzeitig durchgeführt werden können und die sich auf die Einzelheiten ein und desselben Grundwissens oder auf verschiedene seiner Aspekte beziehen, unter denen dieselben Einzelheiten betrachtet werden können. Eine Parallelübung wird sich immer auf eine Ganzheit beziehen, um interessant zu sein. Dies dient nicht nur der Vertiefung der Kenntnisse, sondern auch der größeren Klarheit. Dagegen würden außerhalb des Ganzen erlernte Einzelheiten in den meisten Fällen lediglich die Sicht auf dieses Ganze trüben.[124]
Bei dieser ersten Gruppe von Parallelübungen zum Zehnersystem besteht die wichtigste Absicht darin, den Übergang von der 9 zur 10, also die Brücke, die zwischen zwei aufeinanderfolgenden Stellenwerten liegt, zu demonstrieren und zu illustrieren.
Zu dieser Ganzheit gehören die Bildung der Treppe oder des Dreiecks mit dem „Bunten Perlenmaterial“ als Aufbau des Bildes, das die Kombination des Zehners mit den verschiedenen Gruppen von Einheiten beinhaltet. Diese Arbeit wird ebenso mit dem „Bunten Perlenmaterial“ gelegt.
Für die so genannte Zahlenraumerweiterung bieten wir den Schülerinnen und Schülern Arbeiten mit dem „Seguinbrett (10-19)“, dem „Seguinbrett (10-99)“ in Kombination mit dem „Bunten Perlenmaterial“ und dem „Goldenen Perlenmaterial“ an. Diese Arbeiten sind nicht nur eine Erweiterung des Zahlenraumes, sondern führen auch zu einer Vertiefung der Verbindung der Zahlen von 1-9 und der 0 und unserem Zahlensystem.
Eine immer wieder interessante Arbeit stellt in diesem Zusammenhang der Aufbau eines anderen Zahlensystems als des gewohnten Zehnersystems dar. Wir legen mit dem Perlenmaterial und Zählen z.B. in einem „Vierersystem“, wir schreiben die Ziffernfolge in einem „Vierersystem“ …
In der Folge geht es auch darum, die vorangehenden Übungen durch das Kennenlernen der Zahlwörter zu ergänzen.
Wortzusammensetzung mit Hilfe von Kärtchen in den jeweiligen Stellenwertfarben:
grün blau
elf
zwölf
drei |
zehn |
vier |
zehn |
fünf |
zehn |
usw.
Durch diese Arbeit wird auch das Verständnis des Zehnersystems gefestigt, der Aufbau des Zählens in einem größeren Zahlenbereich wiederholt und nochmals Klarheit in den Gruppen der Stellenwerte gewonnen.
Fortschreitendes und lineares Zählen wird ebenso bei den Arbeiten mit den „Quadratketten“ und den Kubikketten angeboten und durchgeführt. Gleichzeitig wird ein Verständnis der Zahlen angebahnt, die wir später im abstrakten Bereich als Quadratzahlen und Kubikzahlen kennen lernen werden. Wir gehen aber vom begreifbaren Quadrat und vom begreifbaren Kubus aus:
Dem Kind begegnet bei der Arbeit mit der „Hunderterkette“ eine weitere Darstellung des Hunderters: Die geometrische Form des Hunderters – das Quadrat – wird nun zerlegt und linear dargestellt, eventuell wieder zusammengesetzt. Die Arbeit ist für den Aufbau der mathematischen Vorstellungskraft des Kindes von großer Bedeutung. Bei der Arbeit mit der Tausenderkette wird die geometrische Form des Tausenders analog zerlegt, zusammen gesetzt, wird linear gezählt usw.
Als Beispiele weiterer Parallelübungen zu den ersten beiden exemplarischen Lernbereichen des Zählens und des Zahlensystems möchten wir noch das „Schlangenspiel zur Addition“ und das „Schlangenspiel zur Subtraktion“ anführen. Hier geht es darum, Quantitäten, die kleiner als 10 sind, in ZEHNER, die Grundsteine des Zehnersystems, umzuwandeln und um lineares Addieren und Subtrahieren. Durch diese Arbeit wird nochmals die Orientierung innerhalb des Systems gefestigt. Sie ermöglicht Kindern im Vergleich zur Arbeit mit dem Seguinbrett und den Ketten einen anderen Blickwinkel auf die beiden Themen „Zahlen“ und „System“.
Die Arbeiten mit den „Tafeln der Übergänge“ soll das Überschreiten und das Unterschreiten der 10 sichtbar machen, in die Addition und in die Subtraktion vorbereitend einführen und durch Kombinations- und Zerlegungsübungen die Orientierung im System festigen. Eine wichtige Arbeit mit den Rechnungstafeln ist auch das Erkennen von Kombinationen, wie z.B. 3+7=10 und 7+3=10. Kinder erkennen, dass sich aus den vertauschten Komponenten wieder das gleiche Ergebnis ergibt. Nun ist ja jede aus ungleichen Gruppen bestehende Kombination zweimal vorhanden. Diese vertauschten Doppelausführungen können aus einer zusammenfassenden Tafel, die alle möglichen Kombinationen zeigen soll, weggelassen werden. So wird auch ein Grundsatz Maria Montessoris im Studium der Mathematik erfüllt: Das Notwendige ist ausreichend.[125]
Operationen und Zehnersystem
Bei den numerischen Quantitäten existiert eine bereits bestehende Vorschrift, welche die Vereinigung nach einem Gesetz leitet. Was also eine arithmetische Operation, zum Beispiel die Addition, charakterisiert, ist nicht das Zusammenfügen von Quantitäten, sondern die Verteilung der verschiedenen Einheiten gemäß dem Zehnersystem. Es gibt demnach nichts zu lernen, was die Operationen an sich betrifft, wenn dem Zehnersystem die ganze Beachtung geschenkt wird, die ihm wirklich zusteht.
Die Operationen bestehen darin, gleiche (Multiplikation) oder ungleiche (Addition) Dinge zusammenzufügen oder von einem Ganzen (Subtraktion) einige seiner Teile wegzunehmen oder das Ganze auf gleiche Teile (Division) zu verteilen.
Wir führen die Operationen mit dem Goldenen Perlenmaterial mit großen Zahlen in folgender Reihenfolge ein:
- Addition von großen Zahlen. Sie ist das Zusammenfügen ungleicher Dinge.
- Multiplikation von großen Zahlen. Sie ist das Zusammenfügen gleich großer Quantitäten[126].
(Es ist nicht das Zehnersystem, das die Addition von der Multiplikation unterscheidet, sondern allein die Tatsache, dass man, weil es hier um gleiche Dinge geht, sich das Ergebnis einprägen kann, ohne ein Ding nach dem anderen zu zählen. Daher ist es ein Mechanismus des menschlichen Gedächtnisses und nicht eine den Zahlen innewohnende Eigenschaft, was den Unterschied zwischen der Multiplikation und der Addition ausmacht.[127]) - Subtraktion von großen Zahlen: Gegeben ist die Summe zweier Zahlen. Bestimme die andere!
(Wichtig: Es existiert nur eine effektive Quantität! Die Subtraktion zeigt die Kehrseite des Schlüssels des Zehnersystems. Sie ist die Zerlegung einer Quantität (auch Ziffernkärtchen) in eine oder mehrere ungleiche Teile.) - Division großer Zahlen. Sie ist die Zerlegung in zwei oder mehrere gleiche Teile.
(Auch hier besteht nur eine einzige effektive Quantität. Diese wird in gleiche Teile geteilt.[128] Achtung: Die (Auf)Teilung beginnt beim größten Stellenwert! Was wollen wir wissen? Wie viel ein Einer bekommt! Dabei ist darauf zu achten, dass jeder Stellenwert gleich viel bekommen muss!)
Alle Operationen werden in einer aktiven Weise eingeführt. Wir zitieren ein Beispiel anhand einer möglichen Einführung der Division, wobei eine Quantität unter verschiedene Personen, d.h. unter die Kinder selbst aufgeteilt wird. Auf einem Tisch liegt die folgende Quantität:
2 Würfel, sechs Quadrate, vier Stäbchen und acht Perlen, also die Zahl 2648. Zwei Kinder kommen, um sie in zwei gleiche Teile aufzuteilen; und zu diesem Zweck nimmt jedes die gleiche Quantität. Am Anfang nimmt jedes Kind einen von den größten, wertvollsten und daher auch wichtigsten Gegenständen, nämlich von den Würfeln. Nachdem diese aufgebraucht sind, gehen sie zu den Quadraten über, indem sie eins nach dem anderen wegnehmen, solange welche da sind; und damit hat jedes drei. Zu den Stäbchen übergehend, nehmen sie nacheinander je zwei; und schließlich teilen sie sich die Perlen, nehmen dabei eine nach der anderen, sodass jedes Kind vier hat.
So sind aus der ursprünglichen Quantität zwei gleiche Teile entstanden, von denen jeder aus einem Würfel, drei Quadraten, zwei Stäbchen und vier Perlen besteht und damit die Zahl 1324 darstellt.[129]
Methodische Ordnungsgesichtspunkte bei der Arbeit
Der erste Durchgang bei allen Einführungen wird ohne Wechsel des Stellenwertes durchgeführt. Erst in den weiteren Darbietungen wird der Stellenwert auch gewechselt, und die Kinder tauschen bzw. zerlegen eine Einheit des jeweils höheren Stellenwertes in 10 Einheiten des jeweils niedrigeren Stellenwertes. Dazu wird das Bankspiel eingeführt. Der Tauschvorgang ist den Kindern schon vom „Aufbrechen des Zehners“ und den vielen Übungen zu dieser Arbeit bekannt.
Die Parallelübungen zu dem exemplarischen Bereich „Operationen“ beziehen sich auf Operationen mit großen Zahlen. Die Arbeit vollzieht sich bei diesen Parallelübungen in der Regel auf einem höheren Abstraktionsniveau als die Arbeit mit dem Goldenen Perlenmaterial. Teilweise beinhalten die folgenden Materialien für die mathematische Entwicklung des Kindes auch einen erweiternden Aspekt.
Exemplarisch zeigen wir den didaktischen Aufbau der Division. Dieser Aufbau ist übertragbar. Wir geben damit sowohl Beispiel für die Parallelübungen, wie auch für die Arbeit mit dem „Goldenen Perlenmaterial“.
Der didaktische Aufbau der Division – exemplarisch
Ziel unserer gemeinsamen Arbeit an einem gemeinsamen Thema ist das Verstehen der Grundrechnungsart „Dividieren“ und das Bilden einer Vorstellung in der Imaginationsfähigkeit des Kindes. Wir gehen gemeinsam mit den Kindern folgende Schritte, beginnen in der ersten Klasse und schließen unsere gemeinsame Arbeit in der vierten Klasse vorläufig ab:
Erster Schritt – Aktive Erfahrung
Ich sitze mit einigen Kindern in der Freiarbeit zusammen und gebe diesen Kindern die erste Darbietung für das Verstehen der Division. Für diese Arbeit verwende ich nur die grünen Perlen des (kleinen) Divisionsbrettes. Ich gebe einem Kind in der Runde 6 Perlen. Die Kinder zählen mit. Die Aufgabe für das Kind lautet: „Verteile bitte diese 6 Perlen an die anderen 3 Kinder in unserer Gruppe. Dazu befolge bitte immer folgende Regel: Jedes Kind muss gleich viele Perlen bekommen!“ Die Perlen werden verteilt. Nun wollen wir wissen, wie viele Perlen jeweils ein Kinder bekommen hat. Jedes der drei Kinder antwortet: 2.
Dividieren mit Rest
Beispielhaft führen wir anschließend auch schon Divisionen durch, bei denen auch ein Rest bleiben kann, wenn eben nicht mehr alle Kinder gleich viel bekommen können. Diese Erfahrung ist zum Verständnis der Division sehr wichtig.
Die wichtigste Regel
Wichtig ist bei dieser ersten aktiven Erfahrung erstens das Verstehen der Regel, dass jedes Kind immer gleich viel bekommen muss und zweitens die Sensibilisierung der Kinder für das Ergebnis der Division: Wir wollen wissen, was ein Kind bekommt.
Teilen nicht Messen
In dem hier dargestellten didaktischen Aufbau wird Dividieren immer im Sinne des (Auf)Teilens verstanden, nicht im Sinne des Messens.
Zweiter Schritt – die Arbeiten mit dem Divisionsbrett
Nach langer Übung und Festigung können die Kinder einen Schritt zur nächsten Abstraktionsstufe vollziehen. Die Kinder sind nun die kleinen grünen Männchen des Divisionsbrettes, die auf dem Brett aufgestellt werden. Sie sind nun die Kinder, auf die die Perlen aufgeteilt werden. Es gilt die Regel, das jedes Männchen gleich viele Perlen bekommen muss. Wir wollen wieder wissen, was ein Männchen bekommt.
Arbeit mit Arbeitsblättern
Auf dem Divisionsbrett können nun Divisionen mit einstelligem Divisor durchgeführt werden. Wir führen auch die Rechenzeichen ein, legen diese und schreiben sie. Zur Anleitung der Arbeit der Kinder mit dem Divisionsbrett verwenden wir auch Arbeitsblätter, die nach einer ganz bestimmten didaktisch-methodischen Ordnung aufgebaut sind.
Parallelarbeiten
Diese Arbeit wird (auch) parallel zum nächsten Schritt durchgeführt. Die Reihenfolge und die Bezeichnung der Schritte soll vorwiegend die gedankliche Ordnung des didaktischen Aufbaus verdeutlichen.
Dritter Schritt – die Arbeiten mit dem Goldenen Perlenmaterial
Wir arbeiten nun gemeinsam in einer Kleingruppe an der Einführung der Division mit großen Zahlen. Wir verteilen Einer, Zehner, Hunderter und auch schon Tausender. Für diese Arbeit verwenden wir das Goldene Perlenmaterial, und ich geben den Kindern eine Darbietung, die der Darbietung des ersten Schrittes sehr ähnlich ist.
Arbeit ohne Wechsel der Stellenwertkategorie
Für diese erste gemeinsame Arbeit mit dem Goldenen Perlenmaterial zum Verstehen der Division ist wichtig, dass sich jede Kategorie (Einer, Zehner, Hunderter und Tausender, …) durch die Anzahl der Kinder, auf die verteilt wird, ohne Rest teilen lässt.
Beispiel: „Ich gebe dir nun 6 Tausender, 9 Hunderter, 3 Zehner und 6 Einer. Bitte verteile diese Menge nun an die drei Kinder. Du weißt, jedes Kind muss gleich viel bekommen. Beginne mit der Verteilung bei der höchsten Kategorie, das sind die Tausender!“ Wir wollen wieder wissen, wie viel jedes einzelne der drei Kinder bekommen hat.
Arbeit mit dem Kartensatz
In weiterer Folge derselben Arbeit legen wir dann zur Menge auch die entsprechenden Karten des großen Kartensatzes dazu, bilden die Zahl und lesen diese gemeinsam. Nun können wir die Division auch mit den Kartensätzen und den Divisionszeichen legen und die sprachlich richtige Formulierung üben.
Tauschen
Voraussetzung für die weitere Arbeit mit dem Goldenen Perlenmaterial ist das „Aufbrechen“ des Zehners, des Hunderters, das Tausenders … und das Tauschen. Wir tauschen einen Zehner in 10 Einer, einen Hunderter in 10 Zehner, einen Tausender in 10 Hunderter …
Arbeit mit Wechsel der Stellenwertkategorie
Nun können wir in derselben Darbietung, wie diese oben beschrieben worden ist, auch Divisionen bearbeiten, in denen sich nicht mehr jede einzelne Kategorie der Stellenwerte restlos auf die Kinder aufteilen lässt. Die jeweils übrige Anzahl eines Stellenwertes muss nun in die nächst niedrigere Stellenwertkategorie umgetauscht und nach dem Umtausch verteilt werden. Wir verteilen so lange, bis ein nicht mehr verteilbarer Rest bleibt. Die Erfahrung, dass ein Rest bleiben kann, wenn nicht mehr alle Kinder gleich viel bekommen können, kennen die Kinder schon aus der aller ersten Erfahrung mit dem Dividieren.
Vierter Schritt – die Arbeiten mit dem Markenspiel
In diesem Entwicklungsschritt führen wir die Kindern wieder zur nächsten Abstraktionsstufe. Wie schon bei der Arbeit mit dem Divisionsbrett verteilen wir die Mengen nun nicht mehr auf die Kinder in der Gruppe, sondern wieder an kleine grüne Männchen. Es ist wichtig, dass die Männchen grün sind. Grün ist die Stellenwertfarbe für die Einer. An Stelle des Goldenen Perlenmaterials verwenden wir nun beim Markenspiel kleine Plättchen (Marken) in der jeweiligen Stellenwertfarbe mit dem Aufdruck 1, 10, 100 und 1000. Die Einer sind grün, die Zehner sind blau, die Hunderter sind rot, und die 1000 sind wiederum grün.
Im Vergleich zur Arbeit mit dem Goldenen Perlenmaterial ist die Arbeit mit dem Markenspiel ein nächster Abstraktionsschritt im Erlernen der Mathematik. Geübt werden das intensive Wechseln zwischen den Stellenwerten und das Festigen des Bewusstseins von durch das Hantieren mit Stellenwerten. Als Erweiterungen kommt der Umgang mit Schwierigkeiten bei den Operationen dazu: z.B. Dividieren mit Nullstelle im Dividend.
Dividieren durch einstelligen Divisor
Die Plättchen (Marken) werden nach Stellenwertkategorien geordnet aufgelegt. Beginnend beim höchsten Stellenwert wird an die grünen Männchen verteilt. Bei diesen Arbeiten können wir nun wieder die kleinen didaktisch-methodisch sinnvollen Schritte gehen:
Beispiele ohne Wechsel der Stellenwertkategorie und damit ohne zu tauschen;
Beispiele mit Wechsel der Stellenwertkategorie und damit mit Tauschen;
Bei all diesen Arbeiten empfiehlt es sich immer, die Division mit dem großen und dem kleinen Kartensatz und den Rechnungszeichen zu legen.
Dividieren durch mehrstelligen Divisor
Bei der Division durch einen mehrstelligen Divisor kommt der Regel „Jedes Kind muss immer gleich viel bekommen!“ entscheidende Bedeutung zu, und plötzlich ist diese so einfache Regel gar nicht mehr so einfach zu verstehen. Wir beginnen die Arbeit mit den Kindern mit einem Spiel:
10 Kinder bilden ein Reihe. Sie bekommen eine grüne Kappe, oder eine grüne Masche oder auch einfach einen großen grünen Punkt aus Naturpapier angeheftet. Sie sind die „Einer“. Vor ihnen steht ein Kinder mit einer blauen Kappe, oder … Dieses Kind ist ein „Zehner“. Nun bekommt jeder einer eine bestimmte Anzahl goldener Perlen, z.B. 2. Jedes Kind gibt nur die 2 Perlen dem Zehner. Dieser steht ja eigentlich für 10 Kinder, daher bekommt der „Einer“ bei der Division 10mal so viel wie ein Einer. Gleichzeitig wird deutlich, dass hinter einem Zehner zehn Einer stehen. Wenn jedes Kind immer gleich viel bekommt, so wird nun deutlich, dass der Zehner, der für 10 Einer steht, eben 10mal so viel bekommen muss, wie ein Einer.
Zurück zum Markenspiel. Wir üben die Verteilung, die wir eben mit den Kindern durchgespielt haben nun mit den grünen und blauen Männchen und den Marken des Markenspiels: Wenn ich nun dem Zehner einen Zehner gebe, so gebe ich dem Einer einen Einer; wenn ich nun dem Zehner einen Hunderter gebe, so gebe ich bei der Verteilung dem Einer einen Zehner – usw. jedes Männchen muss immer gleich viel bekommen, und ich will wissen, was ein Einer bekommt!
Wer möchte kann auch bei dieser Arbeit wieder die didaktisch-methodisch sinnvollen Schritte gehen:
– Beispiele ohne Wechsel der Stellenwertkategorie und damit ohne zu tauschen;
– Beispiele mit Wechsel der Stellenwertkategorie und damit mit Tauschen;
Dieser Aufbau hilft den Kindern beim Verstehen, weil er im Sinne Maria Montessoris hilft, die Schwierigkeit zu isolieren – für viele Kinder ein äußerst wichtiges didaktisches Prinzip!
Dividieren mit der „Null“
Manche Lernschritte sind bei der Arbeit mit Papier und Bleistift nur sehr schwer oder gar nicht zu verstehen. Wenn im Dividend oder im Divisor eine „0“ vorkommt, so wird deren Behandlung beim eher mechanischen Dividieren auf dem Papier kaum deutlich. Bei der Arbeit mit dem Markenspiel erlebt das Kind hingegen ganz deutlich, dass „0“ einfach nicht verteilt werden kann, oder dass an 0 Zehner oder 0 Einer nicht verteilt werden kann. Zum Verstehen der Division ist diese Arbeit sehr wichtig.
Fünfter Schritt – die Arbeit mit der sogenannten „großen“ Division bis zur schriftlichen Form
An Stelle der Marken werden nun Perlen in der jeweiligen Stellenwertfarbe verteilt. Verteilt werden diese Perlen auf die nun schon bekannten Männchen, die nun auf dem Divisionsbrett stehen. Männchen und Divisionsbretter sind ebenfalls in den Stellenwertfarben gehalten.
Nun gibt es von jedem und für jeden Stellenwert des Dividenden sinnvoller weise 100 Perlen. Jeder Stellenwert des Divisors kann bis zu neun Männchen aufgestellt bekommen. Verteilt werden wiederum die Perlen auf die Männchen, und jedes an der „großen“ Division arbeitende Kind sitzt hinter einem Divisionsbrett, auf dem die Männchen des Divisors aufgestellt sind. Es gilt auch hier noch immer die Regel: „Jedes Männchen muss immer gleich viel bekommen!“
Wir rechnen Beispiele mit Wechsel der Stellenwertkategorie und damit mit Tauschen; Wir rechnen Beispiele mit Tausendern, Zehntausendern, Hunderttausendern und Millionen im Dividenden und mit Zehnern, Hundertern und Tausendern im Divisor. Im methodischen Aufbau können wir immer eine weitere Kategorie entweder im Dividenden oder im Divisor hinzufügen. Die schriftlichen Aufzeichnen bleiben anfänglich der beobachtenden und darbietenden Lehrerin überlassen.
Schriftliche Form
Die schriftliche Form kann nun direkt von der Arbeit mit den Perlen der großen Division übernommen werden. Wir bevorzugen die mit der Subtraktion kombinierte Form der Division.
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M |
HT |
ZT |
T |
H |
Z |
E |
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T |
H |
Z |
E |
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T |
H |
Z |
E |
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5 |
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6 |
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: |
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Darstellung der schriftlichen Form der Division nach dem Material.
Es ist vom Entwicklungsstand des Kindes (der Kinder) abhängig, wann ich die Kinder anregen werde, die einzelnen Lern- und Entwicklungsschritte zu gehen. In der Regel beginnt die hier dargestellte Lernreihe in der ersten Klasse, und wir beenden die Arbeit dann in der vierten Klasse. Diese Angaben beziehen sich auf eine altershomogen organisierte Lerngruppe. Für eine altersheterogene Lerngruppe muss diese Angabe relativiert werden.
Das Kind lernt nicht, indem es eine Erklärung anhört. Es vertieft seine Kenntnisse nur, indem es einer aktiven Arbeit nachgeht, und oft übt es lange und geduldig dieselbe (bereits verstandene) Sache.[130]
Wir haben drei „Plattformen“ errichtet und in der Division gleichsam eine didaktische Abfolge gezeigt. Durch das Zählen und die Zahlen, das Verstehen des Systems und die Erarbeitung der Operationen ist der Stoff der Mathematik in der Grundschule abgedeckt. Der entscheidende Unterschied ist die Ordnung. Durch die Konzentration auf die drei großen exemplarischen Bereiche, können die Kinder in der Entwicklung ihres mathematischen Geistes und ihrer mathematischen Fähigkeiten die notwendigen Details immer wieder der Ganzheit zuordnen und in den für das aktive und selbst bestimmte Lernen notwendigen Zusammenhang bringen. Auch die Parallelübungen, die wir hier in unserer Darstellung nicht angeführt haben, wie z.B. das berühmte Einmaleins, werden sowohl im Zusammenhang mit den Operationen gesehen wie auch in einer verstehenden Art und Weise und nicht nur mechanisch gelernt. Den didaktischen Aufbau in seiner Gesamtheit finden Sie in der Psychoarithmetik und im Handbuch der Montessori-Pädagogik[131].
Literatur:
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[1] Vgl. auch: Arnold, Rolf: „Lebendiges Lernen ist eine notwendige aber keine hinreichende Voraussetzung von Bildung! In: Arnold, Rolf: Lebendiges Lernen. Baltmannsweiler 1996.
[2] Holzkamp, K.: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt a. M. 1993.
[3] Klafki, Wolfgang: Aufgaben der Grundschule und der Grundschulreform. In: Erziehungswissenschaft, Erziehungspraxis, H.1/1986, S. 4.
[4] Kohlberg, Wolf Dieter: Wie modern ist die „Ecole Moderne“? In: Eichelberger, Harald: Lebendige Reformpädagogik, Innsbruck 1997, S. 95.
[5] Preuss-Lausitz, Ulf, Die Kinder des Jahrhunderts. Weinheim und Basel 1993, S. 20.
[6] Key, Ellen, Das Jahrhundert des Kindes, Weinheim und Basel, 1992, S. 172
[7] Vgl. auch Eichelberger, Harald, Handbuch der Montessori-Didaktik, Innsbruck 1997
[8] Hildegard Holtstiege, Modell Montessori, Freiburg/Breisgau 1977, S. 16.
[9] Maria Montessori, Grundlagen meiner Pädagogik, Heidelberg 1968 (München 1934), S. 23
[10] Die Bezeichnung „Plan“ wird verwendet für die in der reformpädagogischen Bewegung der Jahrhundertwende und zu Beginn unseres Jahrhunderts entstandenen Reformprojekte, wie z.B. auch Jenaplan, Winnetkaplan, Puebloplan, usw.
[11] Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan. With an Introduction by T. P. Nunn, M. A. D. Sc., Professor of Education, University of London; and Contributions by Rosa Bassett, M. B. E., B. A., John Eades, and Belle Rennie, Hon. Sec. of the Dalton Association, 4., erw. Aufl. London 1924, S. 84 zitiert nach: Popp, Susanne, Der Dalton-Plan in Theorie und Praxis.
[12] Parkhurst, Helen, Education on the Dalton Plan. S. 84
[13] Vergleiche auch das Erziehungs- (besser Entwicklungs-)konzept zur Selbstbestimmung von Maria Montessori
[14] Freinet, Célestin, pädagogische texte, Reinbeck 1980, S. 26
[15] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen der Reformpädagogik heute, Düsseldorf 1986, S. 209 ff.
[16] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule. In: Röhrs, Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 209 ff.
[17] Prospekt der Jenaplan-Forschungsstelle der Justus-Liebig-Universität in Gießen
[18] Petersen, Peter, Eine freie allgemeine Volksschule, in: Röhrs, , Hermann (Hg.), Die Schulen …, S. 209 ff.
[19] Wagenschein, Martin, Wesen und Unwesen der Schule. In: Erziehung wozu? Eine Vortragsreihe. Stuttgart 1956, Alfred Kröner Vlg., S. 59.
[20] St. Exupéry in: Wagenschein, Martin, Wesen und Unwesen der Schule, S. 59.
[21] Wagenschein, Martin, Wesen und Unwesen der Schule, S. 54.
[22] Popp, Susanne: Der Dalton-Plan in Theorie und Praxis. Ein aktuelles reformpädagogisches Modell zur Förderung selbständigen Lernens in der Sekundarstufe, Bad Heilbrunn 1995.
[23] Vgl. dazu: Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt. 8. Auflage 1998, Deutscher Studien Verlag, S. 89.
[24] Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. … S. 89.
[25] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 13.
[26] Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. … S. 90.
[27] Assignment – schriftliche Arbeitsanweisung.
[28] Parkhurst, Helen: EDP. New York 1922. S. 34f.
[29] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 29.
[30] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 33.
[31] Parkhurst, Helen: EDP. New York 1922. S. 57.
[32] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 58.
[33] 2 Teile eines Pensums.
[34] Dewey, Evelyn: The Dalton-Laboratory-Plan. New York 1922, S. 8.
[35] Petersen, Peter (Hg.): Die Praxis der Schulen nach dem Jena-Plan. Weimar 1934, S. 81.
[36] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 19.
[37] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 19.
[38] Parkhurst, Helen: Education on the Dalton-Plan. New York 1926, 4. Auflage, S. 46.
[39] C. W. Krimmines, Belle Rennie: The Triumph of the Dalton-Plan. London o. J., S. 100.
[40] Parkhurst, Helen: EDP. New York 1922. S. 151f.
[41] Röhrs, Hermann: Die Reformpädagogik. Ursprung und Verlauf unter internationalem Aspekt. 8. Auflage 1998, Deutscher Studien Verlag, S. 97.
[42] Cremin, Lawrence, A.: American Education: The Metropolitan Experience, New York 1988. In: Semel, Susan F.: The Dalton School. New York 1992, S. 9.
[43] Dietrich, Theo: Die Vorgeschichte des Jena-Plans – nationale und internationale Einflüsse. In: Salzmann, Christian (Hrsg.): Die Sprache der Reformpädagogik als Problem ihrer Reaktualisierung. Dargestellt am Beispiel von Peter Petersen und Adolf Reichwein. Heinsberg 1987, S. 150.
[44] Petersen, Peter: Der Mensch in der Erziehungswirklichkeit, Mühlheim/Ruhr 1954, S. 41.
[45] Petersen, Peter: Der Jena-Plan einer freien allgemeinen Volksschule, (1927) 18./20. Auflage, Weinheim 1951; S. 7.
[46] Petersen, Peter: Führungslehre des Unterrichts, (1937), 3. Auflage, Hannover 1951, S. 22.
[47] Petersen, Peter: Führungslehre … (1937) 1951; 2, 43ff., 66ff.
[48] Vgl. Dietrich, Theo: Die Vorgeschichte des Jena-Plans – nationale und internationale Einflüsse. In: Salzmann, Christian (Hrsg.): Die Sprache der Reformpädagogik als Problem ihrer Reaktualisierung. Dargestellt am Beispiel von Peter Petersen und Adolf Reichwein. Heinsberg 1987, S.131.
[49] Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 13.
[50] Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 11.
[51] Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 10.
[52] Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 27.
[53] Vgl. Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; S. 9.
[54] Petersen, Peter: Führungslehre … (1937) 1951; 80.
[55] Vgl. Fröbel, Friedrich: Menschenerziehung. 1826; § 86. Neu herausgegeben von Zimmermann, Leipzig 1913.
[56] Vgl. Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 21.
[57] Vgl. Petersen, Peter: Der Jena-Plan … (1927) 1951; 8.
[58] Petersen, Peter: Führungslehre … (1937) 1951; 43;77.
[59] Freinet, Célestin, Die moderne französische Schule, Paderborn 19792, S.15.
[60] Freinet, Célestin, pädagogische texte, Hrsg. V. H. Boehncke u. C. Hennig. Reinbeck bei Hamburg 1980, S. 32.
[61] Freinet, Célestin, Die moderne französische Schule, Paderborn 19792, S. 16.
[62] Freinet, Célestin, Die moderne französische Schule, Paderborn 19792, S. 39.
[63] Freinet, Célestin, Die moderne französische Schule, Paderborn 19792, S. 41.
[64] Freinet, Elise, Erziehung ohne Zwang, München 1985, S. 14.
[65] Freinet, Célestin in Jörg, Hans (Hg.), Praxis der Freinet-Pädagogik. Paderborn 1981. S. 54.
[66] Die Zusammenstellung der Prinzipien und Mittel beruht auf der Zusammenfassung von Teigeler, Peter in: Hellmich, A./Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik, Weinheim/Basel 1994, S. 39.
[67] Kohlberg, Wolf Dieter: Wie modern ist die „Ecole Moderne“? … . In: Eichelberger, Harald, Lebendige Reformpädagogik, Innsbruck 1997S. 95ff.
[68] Vgl. dazu auch Michael Seyfarth-Stubenrauch, Jenaplan-Pädagogik. Historischer Hintergrund – Aktuelle Konzepte. In: Eichelberger, Harald, Lebendige Reformpädagogik, Innsbruck 1997!
[69] Kohlberg, Wolf Dieter: Wie modern ist die „Ecole Moderne“? … S. 100.
[70] Kohlberg, Wolf Dieter: Wie modern ist die „Ecole Moderne“? … S. 101.
[71] Vgl. Herz, O.: Offenheit von Schule in allen Schulformen. COMED-Material 6/1990, S. 2.
[72] Vgl. Herz, O.: Offenheit von Schule …, S. 4.
[73] Teigeler, Peter, Freinet-Pädagogik, psychologische Lernmotivationstheorie und Viktor E. Frankls „Will2 zum Sinn“, in: Hellmich, A./Teigeler, P. (Hrsg.): Montessori-, Freinet-, Waldorfpädagogik, Weinheim/Basel 1994, S. 134ff.
[74] Vgl. auch: Eichelberger, Harald, Handbuch zur Montessori-Didaktik. Innsbruck 1997.
[75] Ellen Key, Das Jahrhundert des Kindes, Weinheim und Basel 1992, S. 57ff.
[76] Maria Montessori, L’autoeducazione, Nelle scuole Elementari, Continuazione del Volume: Il Matode della Pedagogia scientifica applicato all’aducazione infantile nelle Case dei Bambini, Ermanno Loescher & C.. P. Maglione & C. Strini, Editori-Librai Di S. M. La Regina, 1916 Englisch: Montessori, Maria, The Advanced Montessori Method, Volume 1 and Volume 2, Her Program for Educating Elementary School Children, New York 1965
[77] Maria Montessori, Psychoarithmetik: die Arithmetik dargestellt unter Berücksichtigung kinderpsychologischer Erfahrungen während 25 Jahren = Psico-aritmética von Maria Montessori. Hrsg. und eingeleitet von Harald Baumann. Deutsche Erstausgabe der span. Orig.-Ausgabe von 1934. Thalwil/Zürich: Paedia media.
[78] Maria Montessori, Kinder sind anders, Stuttgart 1967 (1952).
[79] Maria Montessori, Das kreative Kind, Freiburg 1975, S.193.
[80] Wir würden heute eher die Begriff „Focusierung“ oder „Zentrierung“ verwenden.
[81] Maria Montessori, Über die Bildung des Menschen, Freiburg 1966, S. 55.
[82] Paul Oswald, Menschenbildung als Anliegen Montessoris (1968). In: Schulz-Benesch, Günter, zitiert nach Die Gründe der Missverständnisse der Montessori-Pädagogik in Deutschland, Montessori Darmstadt 1970, S. 385.
[83] Vgl. Maria Montessori, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt, Freiburg 1979, S. 83f.
[84] Maria Montessori, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt , S. 83.
[85] Maria Montessori, Spannungsfeld Kind – Gesellschaft – Welt , S. 87.
[86] Vgl. Hilegard Holtstiege, Modell Montessori, Freiburg 1968, S. 128f.
[87] Hildegard Holtstiege, Modell Montessori, Freiburg 1968, S 174.
[88] Maria Montessori, Schule des Kindes, Freiburg 1976, S.70.
[89] Maria Montessori, Das Kind in der Familie, Stuttgart 1954, (Wien 1923), S. 59.
[90] Vgl. Maria Montessori, in: Hildegard Holtstiege, Modell Montessori, 4.Aufl., Freiburg 1977, S.41.
[91] Maria Montessori, Das kreative Kind. Freiburg 1972, S. 23.
[92] Maria Montessori; Das kreative Kind, S. 21.
[93] Maria Montessori hat diesen Begriff nie selbst verwendet.
[94] Maria Montessori, Die Selbsterziehung des Kindes, Berlin 1923, S. 9.
[95] Büthe, Wilhelm: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, Hannover 1965, S. 80.
[96] Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 14.
[97] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 16.
[98] Wagenschein, Martin: Verstehen lehren, Weinheim 1989, S. 8 f.
[99] Wagenschein, Martin: Verstehen lehren, S. 9.
[100] Wagenschein, Martin: Verstehen lehren, S. 12.
[101] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 17.
[102] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 9.
[103] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 22.
[104] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 22.
[105] Wagenschein, Martin: In: Roth, Heinrich: Exemplarisches Lehren, S. 22.
[106] Auch der große J. A. Comenius hatte einen – wesentlich unbekannteren – Vorgänger: Schon lange vor der Erstausgabe der Didactica magna (Ausgabe von 1657 – 1658 aus Amsterdam) von J. A. Comenius publizierte der deutsche Pädagoge Elias Bondin ein Werk mit dem Titel „Didactica“ (1620 – 1630) – Anm. d. Verf.
[107] Johann Amos Comenius, Große Didaktik, S. 3.
[108] Johann Amos Comenius, Große Didaktik, S. 4.
[109] Johann Amos Comenius, Große Didaktik, S. 1.
[110] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S.11.
[111] Maria Montessori, Psychoarithmetik: Die Arithmetik dargestellt unter Berücksichtigung kinderpsychologischer Erfahrungen während 25 Jahren = Psico-aritmética von Maria Montessori. Hrsg. und eingeleitet von Harald Baumann. Deutsche Erstausgabe der span. Orig.-Ausgabe von 1934. Thalwil/Zürich: Paedia media.
[112] Vgl. Wagenschein, Martin, Wesen und Unwesen der Schule. Darmstadt o. J., S. 59.
[113] Vergleiche auch: „Die Geschichte der Sprache und der Schrift“!
[114] = stammesgeschichtliche Entwicklung der Menschheit.
[115] Zitiert nach Maria Montessori, Kosmische Erziehung, (hrsg. von Paul Oswald und Günter Schulz-Benesch) Herder, Freiburg 1988.
[116] Verweis: Bruce Chatwin, Traumpfade, Hanser-Vlg.
[117] … etwas auf dem Kerbholz haben …
[118] Interessanterweise beginnt bei Maria Montessori das kindliche Zählen auch mit sogenannten festen Mengen, z.B. mit den blauroten Stangen. Hier ist auch eine Entsprechung der Ontogenese mit der Phylogenese im Montessori-Material zu erkennen.
[119] Knotenschnüre
[120] Georges Ifrah, Universalgeschichte der Zahlen, Campus.
[121] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 30.
[122] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 31.
[123] Hunderter, Zehner, Einer.
[124] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 36f.
[125] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 49.
[126] Es ist also wichtig, die Kinder darauf aufmerksam zu machen, dass die Multiplikation eine Addition von gleichen Teilen ist.
[127] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 56.
[128] Hinweis: Soziale Organisation vor allem bei der Division durch mehrstellige Zahlen.
[129] Vgl. Maria Montessori, Psychoarithmetik, S.61 ff.
[130] Maria Montessori, Psychoarithmetik, S. 91.
[131] Eichelberger, Harald, Handbuch zur Montessori-Pädagogik, Innsbruck 1997.