„Der Weg, den die Schwachen gehen, um sich zu stärken, ist der gleiche, den die Starken gehen, um sich zu vervollkommnen.“
Das der Reformpädagogik allerorts und allseits bekundete große Interesse legt die Vermutung nahe, dass ein dringendes Bedürfnis besteht, Unterricht in Richtung Humanisierung und Demokratisierung zu verändern. Diese Hinwendung zur Reformpädagogik lässt mich hoffen, dass nunmehr der „Reformpädagogik des 21. Jahrhunderts“ – der „Integrativen Pädagogik“ – gleichermaßen Beachtung geschenkt wird, sind doch Humanisierung und Demokratisierung auch deren ureigene Anliegen.
Bintinger, Gitta: Reformpädagogik und Integration im Kontext. In: Eichelberger, Harald: Lebendige Reformpädagogik. Innsbruck 1997, StudienVerlag
Gitta Bintinger
Reformpädagogik und Integration im Kontext
Der Weg, den die Schwachen gehen, um sich zu stärken, ist der gleiche, den die Starken gehen, um sich zu vervollkommnen.
Das der Reformpädagogik allerorts und allseits bekundete große Interesse legt die Vermutung nahe, dass ein dringendes Bedürfnis besteht, Unterricht in Richtung Humanisierung und Demokratisierung zu verändern. Diese Hinwendung zur Reformpädagogik lässt mich hoffen, dass nunmehr der „Reformpädagogik des 21. Jahrhunderts“ – der „Integrativen Pädagogik“ – gleichermaßen Beachtung geschenkt wird, sind doch Humanisierung und Demokratisierung auch deren ureigene Anliegen.
Ein Auftrag
„Integration“ lautet der heutige gesellschaftspolitische Auftrag an alle Pädagogen und an die Pädagogik. Erstmals in der Geschichte der Schule sind alle Lehrer und alle Lehrerbildner dazu aufgerufen, Schule zu erneuern, denn Integration und schulische Erneuerung bedingen einander.
Der Weg vom Gesetz zur Realisierung von integrativem Unterricht ist weit und ohne Überzeugung, Engagement und Kooperation aller Beteiligten nicht zu bewältigen.
Eine Problemskizze
Das in vielen Bereichen noch weitgehend brachliegende Feld der Integrativen Pädagogik erfordert (auf der Ebene der Pädagogischen Akademien, die ich in höchstem Maße hierfür prädestiniert erachte) die Zusammenarbeit von Humanwissenschaftern, Didaktikern und Praktikern, denn – gemäß einem Prinzip der Integrativen Pädagogik – kann nur durch Kooperation Ganzheit entstehen.
Die gegenwärtige integrative Praxis ist nur im Ansatz integrativ. Die Gründe hierfür sind, dass die traditionellen, aussondernden Merkmale von Schule – verschiedene Schulformen, verschiedene Lehrpläne, normierter Leistungsbegriff, herkömmliche Leistungsbeurteilung – weiterhin Bestand haben, und dass „Analysen integrativer Prozesse in Schulen“ sich meist nur auf interaktionale,
kommunikative und soziale Schwerpunkte beziehen, während von Analysen pädagogisch-didaktischer Art mit konzeptionellem Charakter nicht die Rede sein kann.“[1]
Feuser bezeichnet eine Allgemeine (Kind zentrierte und basale) Pädagogik als integrativ, „in der alle Kinder und Schüler in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahr-nehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen in Orientierung auf die nächste Zone ihrer Entwicklung zugehen und mit einem gemeinsamen Gegenstand spielen, lernen und arbeiten.“[2]
Die sich aus dieser Definition ergebenden pädagogischen Grundsätze einer Integrativen Pädagogik fordern vom Lehrer, den Menschen als integrierte Einheit von Biologischem, Psychischen und Sozialem zu sehen, der Heterogenität jeder Schulklasse Rechnung zu tragen, alle Kinder in Kooperation miteinander spielen, arbeiten und lernen zu lassen – an gemeinsamen Vorhaben mittels innerer Differenzierung und entwicklungslogisch-biographisch orientierter Individualisierung eines gemeinsamen Curriculums.
Um schulische Integration verwirklichen zu können, sind viele Themen zu diskutieren:
- Die Neupositionierung von Allgemeiner Pädagogik – auch im Sinne einer Verschmelzung von Allgemeiner Pädagogik und Sonderpädagogik;
- der Entwurf einer Entwicklungslogischen Didaktik;[3]
- die Ausarbeitung von Entwicklungsplänen;
- neue Formen des Lehrens und des Lernens in einem least restriktive Environment (am wenigsten einschränkende Umgebung);[4]
- Fragen des Leistungsbegriffs und der Leistungsbeurteilung;
- die Forderung nach jahrgangsübergreifenden Klassen;
- die Neugestaltung der Lehrerausbildung;
- die Neustrukturierung unseres Schulsystems.
- die Errichtung von Sonderschulen und
- die Auflösung von Sonderschulen (im Rahmen einer allgemeinen Schulerneuerung).
Es gibt von Seiten der Wissenschaft (Vgl. Feuser, Eberwein, Ellger-Rüttgardt!) keine stichhaltigen Gründe, die Trennung von Allgemeiner Pädagogik und Sonderpädagogik, durch die das differenzierte Schulwesen sich selbst legitimierte und perpetuierte, weiterhin aufrechtzuerhalten.
Die Entwicklungslogische Didaktik muss Fachdidaktik mit den didaktischen Kategorien Kooperation an gemeinsamen Vorhaben, Innere Differenzierung, Individualisierung verknüpfen und Unterricht auf der Grundlage persönlichkeitstheoretischer, entwicklungs- und lernpsychologischer Erkenntnisse aufbauen.
Die Reformpädagogik hat sich vieler dieser Fragen angenommen und Wege beschritten, die bei der Realisierung schulischer Integration Modell sein können. Zwischen dem Konzept der Pädagogik von Maria Montessori und dem der Integrativen Pädagogik gibt es viele Parallelen, da beide von einem sich im wesentlichen ähnelndem Bild vom Menschen ausgehen und Gesetzmäßigkeiten menschlicher Entwicklung und menschlichen Lernens zur Grundlage pädagogischen Handelns machen. Im didaktischen Ansatz von Maria Montessori und in ihren Entwicklungsmaterialien sind Lösungsansätze für die „Entwicklungslogische Didaktik enthalten, die Feuser als die Basis integrativen Unterrichtes sieht. Das in sich geschlossene pädagogische System Maria Montessoris bedarf, um ein integratives sein zu können, der Erweiterung um Aspekte der Integrativen Pädagogik. Diese ihrerseits kann nur mit Elementen aus der Montessori-Pädagogik schulische Praxis werden. In einer Symbiose dieser – erweiterten – pädagogischen Konzepte nimmt eine Integrative Pädagogik Gestalt an, die reformpädagogisch-integrativ arbeitenden Lehrerinnen und Lehrer Sicherheit und Hilfe im Schulalltag bieten kann.
Ich halte Festschreibungen und Vorgaben häufig für entbehrlich. Mit dem pädagogisch integrativen Alltag vertraut, meine ich jedoch, dass die didaktische Klärung von schulischer Integration notwendig ist. Zum Thema Integrative Pädagogik gibt es viele theoretische Abhandlungen, konkrete Hinweise für den pädagogischen Alltag sind jedoch spärlich und meist nur im Ansatz skizziert. Immer wird an diesem wesentlichen Punkt auf die Arbeit von (nicht existierenden) Zukunftswerkstätten verwiesen. Entscheidend für die pädagogische Qualität von Integration halte ich die praktischen didaktisch-methodischen Hilfen, die Lehrer zur Hand gegeben werden, um integrativ arbeiten zu können.
Es ist Lehrern nicht zumutbar und nicht möglich, die hohen Forderungen der Integrativen Pädagogik mit Lehrplänen, Didaktik, Leistungsbeurteilung, Lehr- und Lernmitteln der herkömmlichen Art zu erfüllen. Ich erachte diese Unterstützung als dringend, da pädagogisches Unvermögen bereits einmal eine der Ursachen für den Ausschluss von Kindern war (Vgl. Exkurs Zur Sonderschule, S. 38!).
Heute wissen wir, dass nicht die Kinder sonderschulbedürftig, sondern die Schulen reformbedürftig waren/sind. Schulerneuerung muss von innen heraus, in Auseinandersetzung mit den Traditionen der Reformpädagogik und dem Integrationsgedanken erfolgen.
Das Symposium[5] war und ist für mich der unverzichtbare Beginn der pädagogischen Diskussion über Integrative Pädagogik, deren Wurzeln tief in der Reformpädagogik verankert sind und weiter zurückreichen als allgemein angenommen wird.
Ein historischer Rückblick
Bereits im 17. Jh. verstand Comenius die Didaktik „als die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren.“[6] Er vertrat die Ansicht, dass Unterricht allen alles in naturgemäßer Weise vermitteln sollte, wobei die Grundvoraussetzungen fruchtbaren Lehrens die Anschauung der Dinge selber oder doch wenigstens deren Abbildungen waren. Sein berühmtes Lehrbuch „Orbis pictus“[7] war als Hilfe gedacht, diese didaktischen Grundsätze auch verwirklichen zu können! Comenius schrieb:
„Denn je träger und schwächlicher einer von Natur aus ist, umso mehr bedarf er der Hilfe, um von seiner schwerfälligen Stumpfheit und Dummheit so weit wie möglich befreit zu werden. Und man findet keine so unglückliche Geistesanlage, da sie nicht verbessert werden könnte. In den Schulen selbst soll nicht Verschiedenes behandelt werden, sondern vielmehr dasselbe in verschiedener Weise.“[8]
Comenius Didaktik ist eine zutiefst integrative. Es ist bis heute nicht gelungen, ein Grundprinzip der Integrativen Pädagogik, das „Lernen an einem gemeinsamen Gegenstand“ treffender zu formulieren.
Die Arbeit am „Gemeinsamen Gegenstand“ – ich bevorzuge den Terminus „Gemeinsame(s) Vorhaben“ – ist im weitesten Sinn mit Projektarbeit vergleichbar, wobei integrativer Unterricht zu jedem Zeitpunkt Gemeinsames Vorhaben ist. Ein gemeinsam beschlossenes Vorhaben wird in all seinen Dimensionen – jeweils von der sinnlich-konkreten bis zur logisch-abstrakten Ebene – erschlossen und von allen Kindern auf dem Stand ihrer jeweiligen Wollens-, Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkkompetenz miteinander „erfühlt, erhandelt, erarbeitet und erdacht.“
Ein wesentliches Moment dieser gemeinsamen Vorhaben sind die vielfältigen – gemeinschaftlich sowie individuellen – Annäherungs-, Erfahrungs-, Arbeits- und Lernprozesse, die sich während der Arbeit durch die Mannigfaltigkeit an Begabungen, Fähigkeiten und Interessen der Kinder ergeben und ohne die letztendlich kein Ganzes entstehen kann. Diese – pädagogisch nutzbar gemachte – Vielheit von Kompetenzen stellt eine Bereicherung des Unterrichts dar, in dem Anderssein nicht als Mindersein sondern „Menschsein“ erlebt wird, und nicht dessen Behinderung. In diesem Zusammenhang meine ich, dass auch der Bereich des interkulturellen Lernens unter dem gemeinsamen Dach der Integrativen Pädagogik anzusiedeln ist.
Dreimal im Jahr stattfindende pädagogische Highlights wie „Die Dritte Welt“, „Der Regenwald“ oder „Die Ritter“ haben, ohne selbige disqualifizieren zu wollen, nichts mit diesem Prinzip der Integrativen Pädagogik zu tun. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Rechnen, Schreiben und Lesen sind – nach Maßgabe – wichtige Ziele integrativen Unterrichts.
Rousseau, der das Erziehungswesen seiner Zeit heftig bemängelte, beschreibt in seinem Erziehungsroman „Emile“ eine Erziehung vom Kinde aus. Er stellt fest: „Die Kindheit hat ihre eigene Art zu sehen, zu denken, zu fühlen, die ihr eigentümlich ist, nichts ist daher törichter, als ihr die unsere zu unterschieben.“[9] Immer betont er, wie wichtig es sei, Kindern Zeit für ihre Entwicklung zu geben und warnt davor, ihre Entwicklungsprozesse künstlich beschleunigen zu wollen. Das Drama des Kindes, vorzeitig mit kognitiv-abstrakten Inhalten konfrontiert zu werden, begann offensichtlich schon sehr früh.
Auch den Beginn des Lesen-, Schreiben- und Rechnen Lernens wollte Rousseau vom Kind und nicht vom Erwachsenen bestimmt wissen. Als Vorläufer der französischen Revolution sind ihm Humanität und Demokratie oberste Erziehungsgebote, wobei seine Position „Behinderten“ gegenüber nicht von diesen Prinzipien bestimmt ist. Trotz des Wissens darum kann nicht übersehen werden, auf welch mannigfaltige Weise seine Erziehungsideen in der Reformpädagogik und der Integrativen Pädagogik vertreten sind. Im Appell Rousseaus: „Menschen, seid menschlich; dies ist eure erste Pflicht!“[10] und im Bekenntnis zu einer „Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genau so frei bleibt wie zuvor,“[11] tritt das Wesen des gesellschaftlichen Aspekts von Integration in großer Klarheit zutage.
Die Integrative Pädagogik knüpft an die bereits von Pestalozzi formulierten pädagogischen Grundsätze an, Kopf, Herz und Hand in den Unterricht zu integrieren und geht bei allen didaktisch-methodischen Überlegungen von diesem Prinzip der Ganzheitlichkeit aus.
Der Weg von Maria Montessori führte sie von der Irrenanstalt – in der sie als Ärztin tätig war – über die Sonderpädagogik zu ihrer Pädagogik. Der Weg von „behinderten“ Kindern führte von der Irrenanstalt über die Sonderschule in die Regelschule, wobei die letzte Wegstrecke ohne die Pädagogik von Montessori nicht denkbar ist. Maria Montessori erblickte im „Behinderten“ den „darin schlummernden Menschen“ und es gelang ihr, diesen anzusprechen. Sie trat in einen Dialog mit diesen Kindern und erkannte deren Bildungsfähigkeit, die ihnen von der Medizin abgesprochen worden war. Indem sie den Menschen sah und nicht „Behinderung“, vollzog sie Integration. Sie sprach diese Kinder auch mittels ihrer Entwicklungsmaterialien an, die – Motorik und Sinne schulend – dem „Geist“ den Weg bereiteten. Alle heutigen Konzepte pädagogischer Hilfestellung basieren auf der Schulung der Sinne, der Motorik und dem ganzheitlichen Blick auf das Kind. Bei jeder Begegnung mit dem Kind ist seiner Bitte zu entsprechen: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ [12]
Maria Montessori gelangte darüber hinaus zur Überzeugung, dass nicht nur den „geistig behinderten“ Kindern Unrecht widerfuhr. Kinder wurden als „unfertige“ Erwachsene angesehen, die möglichst rasch aus dem Zustand ihrer kindlichen Unwissenheit und Unzulänglichkeit geholt werden mussten. Kinder wurden mit leeren Gefäßen verglichen, die nur der Erwachsene mit Wissen füllen konnte. Eigenständige Entwicklung, Gedanken, Fähigkeiten oder Neigungen wurden Kindern abgesprochen bzw. hatten in der Erziehung keinen Platz. Konformität im Denken und Verhalten war oberstes Erziehungsziel. Die Kindheit konnte bzw. durfte nur im Hinblick auf das Maß des Erwachsenen erlebt werden.
Von nun an widmete Maria Montessori ihr Leben der „Befreiung“ des Kindes aus seiner geistigen und psychischen Verbannung. Sie suchte und fand einen pädagogischen Weg, „der Schlüssel für eine gemeinsame Welt aller Kinder sein könnte.“[13] Maria Montessori forderte nicht Integration. Ihre Pädagogik ist Integration.
Peter Petersen meinte durch seine Reform der Schule, lernschwachen Kindern in vielen Fällen die Überweisung in Sonderschulen ersparen zu können. In seinen Jenaplan-Schulen war Platz für einige dieser Kinder, wobei Petersen allerdings die Existenz von Sonderschulen nicht grundsätzlich in Frage stellte. Integration – wie wir sie heute verstehen – war im Jenaplan-Konzept nicht vorgesehen.
Es gibt im Werk Petersens einen Aspekt, der Anlass zur Diskussion seines pädagogischen Werkes gab. „Es geht ihm“, schreibt Eierdanz, „nicht um einen Beitrag zur Demokratisierung und politischen Bildung, sondern angesichts der undeutschen staatlichen Form hat die Schule verstärkt völkisch-nationale Gesinnung zu pflegen.“[14] Diese, von Eierdanz (aber nicht von Peter Petersen) beschriebene (Anm. des Hg.) Zielstellung in Petersens Pädagogik ist mit einem Fundament der Integrativen Pädagogik – dem demokratischen – nicht vereinbar, denn integrativem Denken sind Humanisierung und Demokratisierung inhärent.
Dennoch erklärt das Wirken von Petersen in Hamburg, weshalb sich viele Hamburger Lehrer bereits damals gegen die Errichtung der „Hilfsschulen“ aussprachen. Eine Lehrergruppe kritisierte auch, dass in der vom deutschen Lehrerverein 1919 beschlossenen Einheitsschule die Gruppe der Hilfsschüler ausdrücklich ausgeschlossen war.
Auch heute ist die Hamburger Lehrerschaft Vorreiter in Sachen schulischer Integration. Ellger-Rüttgardt liefert hierfür eine plausible Erklärung:
„Hamburg konnte sich zu einem Zentrum der Bildungsreform im Bereich der Erziehung Behinderter und Benachteiligter entwickeln, weil in dieser Region die Grenze zwischen Allgemeiner Pädagogik und Heilpädagogik nie als eine endgültige gezogen wurde und es somit immer wieder Situationen eines ernsthaften Dialogs zwischen allgemeiner und spezieller Pädagogik gab.“[15]
Célestin Freinet wollte seine Pädagogik als Pädagogik des Volkes und als Pädagogik für die Regelschule verstanden wissen. Ich sehe hierin eine Affinität zum Selbstverständnis der Integrativen Pädagogik, eine Pädagogik für alle Kinder und alle Schulen zu sein. Sein pädagogischer Ansatz war ein zutiefst politischer, (und der Demokratie verpflichteter) in etwa dem heutigen Wirken von Paolo Freire vergleichbar.
Freinets Ziel war eine tiefgreifende Demokratisierung von Schule, die den gesellschaftlich am Rande stehenden Kindern eine Chance zur Entfaltung ihrer Möglichkeiten und somit einer Steigerung ihrer Lebensqualität geben sollte. Seine Pädagogik sollte Kinder aus dem Stand der Unwissenheit – deren Ursache in ihrer sozialen Herkunft lag – befreien. In Bildung sah er den Schlüssel dazu, dem Teufelskreis von Unwissenheit und sozialer Schichtzugehörigkeit zu entkommen. Grundprinzipien seiner Pädagogik, wie Selbstverantwortlichkeit, Kooperation, Kommunikation, Freiheit und kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt sind Eckpfeiler integrativen Denkens.
Die Tragik des Propheten im eigenen Land zeigt sich an der Persönlichkeit der österreichischen Reformpädagogik, Otto Glöckel. Er verstand es, Menschen für seine von ihm – unter der Mitwirkung namhafter Tiefen- und Entwicklungspsychologen, Soziologen und Pädagoginnen – konzipierten neuen Schule so zu begeistern, dass viele bereit waren, auf die Straße zu gehen, um diese Schule für ihre Kinder zu verteidigen:
„Hunderttausend Männer und Frauen, Väter und Mütter, Arbeiter und Angestellte, zogen an diesem Nachmittag (18. 6. 1926) auf die Straße, um die Erhaltung und Fortführung eines Kulturwerkes zu verlangen, das ihnen allen längst schon Herzensangelegenheit geworden war: Es war die neue Schule, die Schule des Volkes, die Schule Otto Glöckels!“[16]
Die Politik (und nicht diese Menschen) sprach das letzte Wort – und nicht nur über die Schule des Otto Glöckel. Alle österreichischen Reformer (Vgl. Eichelberger, S. 17!) setzten sich, – auf die Weise ihrer Zeit – für Eingliederung und Unversehrtheit (dies sind die zwei Grundbedeutungen von Integration) von Kindern ein.
Der Bekanntheitsgrad ihres Werkes ist äußerst gering, obwohl auch ihre Anliegen die „emotionale und soziale Dimension von Erziehung und Unterricht, eine tiefgreifende Demokratisierung aller pädagogischen Bereiche und die Orientierung an den Bedürfnissen der Heranwachsenden“ waren.[17]
Allen – ob bürgerlich oder sozialistisch orientierten – reformpädagogischen Ansätzen ist die Kritik an der verzopften Lern- und Drillschule gemeinsam. Kein Reformpädagoge hat sich mit der Frage der Integration, wie wir sie heute verstehen (allumfassend und unteilbar), auseinandergesetzt; aber Integration ist ohne die grundlegenden Gedanken der Reformpädagogik weder denk- noch realisierbar.
Viele Elemente der Reformpädagogik wie Selbsttätigkeit, Individualisierung, Kooperation, Sinneslernen, Entwicklungsmaterialien, freie Arbeitsformen u.v.m. haben Eingang in das Regelschulwesen gefunden. Die traditionellen Strukturen unserer Schule wie Gliederung nach Schultypen, Lehrpläne, Jahrgangsklassen oder Leistungsbeurteilung hielten bislang jeder Reform stand.
Integration kann innerhalb der selektionierenden und segregierenden Traditionen unseres Schulsystems nicht glaubhaft verwirklicht werden. Die gesellschafts- und bildungspolitischen Antworten auf dieses Faktum werden zeigen, wie wahrhaftig die Sache der Integration vertreten wird.
Integration in Österreich
Der österreichische Weg zu Integration vollzog bzw. vollzieht sich – wie ich meine – in zwei Etappen:
Auf Grund des Wirkens österreichischer Schulreformer blickte die ganze Welt (für kurze Zeit) nach Wien, das die Hauptstadt des Kindes genannt wurde. Das Wiener Allgemeine Schulwesen sowie das Wiener Sonderschulwesen waren Errungenschaften ihrer Zeit, die nachzuahmen angestrebt wurde. „Nichtbehinderte“ Kinder konnten sich handelnd die Welt vertraut machen. „Behinderte“ Kinder mussten nun nicht mehr entweder zu Hause versteckt werden oder ihre gesamte Schulzeit in der ersten Volksschulklasse auf der Eselsbank verbringen, sondern wurden auf eine ihnen gemäße Weise beschult. (Physisches Zusammensein ist kein Kriterium für Integration.)
Exkurs zur Sonderschule
Die Geschichte der Sonderschule ist sehr widersprüchlich, muss aber insgesamt als eine Geschichte der Irrtümer bezeichnet werden:
Sonderschulen waren – historisch gesehen – notwendig, weil sich die Allgemeine Schule für Kinder, die besonderer Betreuung und Hinwendung bedurften, nicht verantwortlich bzw. zuständig fühlen wollte. Indem sich die Sonderschule auf vorbildliche Weise dieser Kinder annahm, besiegelte sie deren Ausschluss. Der Preis für diese besondere Zuwendung war Stigmatisierung und Scham.
Eine Analyse der Gründe, die zu diesem pädagogischen Ausschluss führten, der dann mit dem sozialen einherging, zeigt auf, dass pädagogische Unzulänglichkeit und pädagogisches Desinteresse die eigentlichen Ursachen dafür waren, dass bestimmte Kinder nicht in der Regelschule verbleiben durften. Die Tragik des schulischen Schicksals dieser Kinder war, dass sie nicht besondere Schulen, sondern eine besondere Pädagogik (nicht die Sonderpädagogik ist hier gemeint!) gebraucht hätten. Aus Kindern mit speziellen Bedürfnissen wurden behinderte Sonderschulkinder. Gesellschafts-, wirtschafts- und bildungspolitische Überzeugungen waren der Humus, auf dem schulische Selektion und Segregation gedeihen konnten.
Im Zuge der Integrationsdiskussion in Österreich mussten sehr viele in Sonderschulen Tätige zu Unrecht als Sündenböcke für Selektion und Segregation herhalten, obwohl sie nicht deren Verursacher waren. Ich habe in dieser Diskussion immer das Beispiel Italien bemüht, das erste europäische Land, in dem schulische Integration Wirklichkeit wurde. Stets aber habe ich hervorgehoben, dass es in diesem Land (fast) keine Sonderschulen gegeben hatte. Um Integration zu verwirklichen, mussten in Italien keine Schulen aufgelöst werden und keine Lehrer um ihre Zukunft bangen. Italien war mir immer Beispiel für gesellschaftlich gelebte Integration, während die diesbezüglichen pädagogischen Bemühungen in der Schule mir stets unbefriedigend erschienen.
Die Integrative Pädagogik
Als Kind des 21. Jh. stellt sich die Integrative Pädagogik – die traditionellen Anliegen und Prinzipien der Reformpädagogik vertretend und ergänzend – der neuen pädagogischen Herausforderung und findet in einer Symbiose aus Altem und Neuem Wege, diese – im Geiste von Humanisierung und Demokratisierung – pädagogische Realität werden zu lassen. Ich selbst fand, nach einiger Suche, in der Montessori-Pädagogik eine ausgezeichnete Möglichkeit, Unterricht integrativ zu gestalten.[18] Es sei aber nicht verschwiegen, dass auch hier noch viel integrative Pionierarbeit vonnöten ist.
Die Integrative Pädagogik ist eine Pädagogik für alle Kinder und für alle Schulen, nach deren Verständnis jede Klasse als Integrationsklasse zu sehen ist. Ihr Anliegen ist es, das hochbegabte und das schwachbegabte Kind seinen Entwicklungsbedürfnissen gemäß in Kooperation miteinander ganzheitlich zu fordern und zu fördern. Sie ist somit – auch – eine Pädagogik für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern. Das behinderte Kind ist in der Integrativen Pädagogik kein Kind mit Defekten, sondern – wie alle anderen – ein besonderes Kind mit einer Vielzahl von Eigenschaften und Fähigkeiten, dessen Entwicklungsmöglichkeiten – wie die aller Kinder – ausbaufähig, aber auch begrenzt sind. Die Begriffe behindert bzw. nichtbehindert werden in der Integrativen Pädagogik gegenstandslos, da jedes Kind als kompetent im Rahmen seiner biographischen Möglichkeiten handelnd gesehen wird und der Maßstab seiner Lernprozesse das eigene Leistungsvermögen und nicht eine fiktive Leistungsnorm ist.
Unterricht, der unter diesen Vorzeichen steht, nimmt „einige Momente einer zukünftigen Schule vorweg: ein hohes Maß an Flexibilität (alle Kinder werden auf ihren jeweiligen Entwicklungsniveaus gefordert), Beweglichkeit hinsichtlich des Lernstoffes und des Lerntempos, Annäherung von Kopf- und Handarbeit durch handelnden Unterricht, Ganzheitlichkeit im Sinne einer Integration von kognitivem, affektivem und sozialem Lernen.“[19]
Wie der Freinet‘schen Pädagogik ist es auch der Integrativen Pädagogik ein Anliegen, Kinder und Jugendliche – im Kontext der Probleme des beginnenden 21. Jahrhunderts – „frei“ zu machen. Frei vom Denken in Kategorien von Rasse, ethnischer Herkunft, Behinderung/Nichtbehinderung, vom Joch des Qualifikationswahns, vom Zwang der Befriedigung ständig neuer, künstlich geschaffener Bedürfnisse, von der Logik der Mauern in unseren Köpfen, vom Mythos der „Undurchschaubarkeit und somit der Unveränderbarkeit der Welt“.[20] Frei für die Suche nach Formen menschlichen Zusammenlebens, die vom Gedanken der Solidarität, des Teilens und Verteilens, von menschlichem Maß geprägt sind und in denen „Glück, Leid, Hoffnung, Sorge, Scham Kategorien pädagogischen Denkens und Handelns“[21] sind.
„Schulische Integration ist keine pädagogische Mode, sie ist, im wahrsten Sinn des Wortes, eine notwendige Entwicklung.“[22]
Im Zuge der Diskussion um schulische Integration und deren pädagogischen Umsetzung fällt meist der Begriff Therapie, mit dem Hinweis, dass nur Sonderschulen selbige gewährleisten könnten (Therapie war/ist eines der traditionellen Legitimierungsinstrumente für besondere Beschulung). Milani-Comparetti, Roser und Feuser zeigen auf, dass ein verändertes, nicht defektorientiertes Menschenbild, wie es dem integrativen Gedanken zugrunde liegt, herkömmliche Therapie in Frage stellt, wenn nicht sogar oft als Humbug entlarvt.[23]
Individuelle pädagogische Hilfe – ich lehne den einer medizinischen Sichtweise verhafteten und verhängnisvollen Begriff Therapie in der Schule ab – ist Teil integrativen Unterrichts. Diese Hilfe erfolgt im Dialog mit dem Kind und orientiert sich immer am ganzen Menschen in seinem individuellen So-Sein. Ihre Eingebettetheit in ein ganzheitliches Lebensumfeld ist ihre Voraussetzung und bereits Teil ihrer selbst.
Grundlage integrativen Unterrichts ist die pädagogische Beobachtung (nicht Diagnostik), auf Grund derer Unterricht gestaltet und entsprechend notwendige, individuelle Hilfe geboten wird. Es bedarf hierzu einer besonderen Schule, nicht aber einer Sonderschule.
Integrative Pädagogik ist als Übergangsbegriff anzusehen, der dann ausgedient hat, wenn die neue Allgemeine Pädagogik die Wahrung der Grundbedürfnisse, d.h. der Rechte aller Kinder, in einem gemeinsamen Arbeits-, Spiel- und Lebensraum Schule wahrnimmt. (Im Übrigen plädiere ich dafür , das „Wort“ Integration ehestmöglich durch ein anderes zu ersetzen, damit endlich der Blick auf die ihm immanente Idee nicht mehr getrübt wird.)
Kritische Bemerkungen
Der Tenor der im Augenblick in allen Medien geführten Diskussion[24] um Integration in die Sekundarstufe bestürzt mich tief:
Integration wird lediglich als Synonym für die schulische Eingliederung „geistig behinderter“ Kinder in die Sekundarstufe verstanden.
Die gesellschaftspolitische Dimension der Integrationsbewegung, dass Integration Teil einer gesellschaftlichen Umorientierung im Sinn des Frommschen „Seins“ und nicht des „Habens“ ist, wird nicht einmal im Ansatz angesprochen.
Ich empfinde es als unerträglich und zynisch, wenn Vertreter katholischer Familienverbände und christliche Lehrervertreter lautstark in der Öffentlichkeit kundtun, dass ihr Herz für die behinderten Kinder schlüge und sie auf deren Seite stünden, gleichzeitig aber diese Kinder – zu ihrem eigenen Wohle – in Sonderschulen am besten aufgehoben wissen wollen. Es stellt sich mir die Frage, an wessen Wohl dabei gedacht wird! Ich wünsche mir, dass christliche Nächstenliebe auch außerhalb der Mauern von Sonderinstitutionen unter Beweis gestellt wird.
Gewerkschaftern wird es überlassen, die pädagogische Dimension von Integration in der Öffentlichkeit zu kommentieren. Diese dürfen sogar integrativ arbeitende Lehrerinnen als Verbrecher an Kindern verunglimpfen.
Ohne gewisse Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ist qualitätsvolle schulische Integration nicht möglich. Leider ist gegenwärtig eine Tendenz zur Verschlechterung selbiger zu bemerken. Nicht Integration gilt es in Frage zu stellen, sondern Integrationsgesetze, infolge derer integrative pädagogische Standards nicht gehalten bzw. erreicht werden können. Die pädagogischen Konzepte für integrativen Unterricht gibt es, inwieweit sie – zum Nutzen aller Kinder – zur Anwendung kommen können, hängt vom Konzept der Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit ihren schwächsten Mitgliedern ab. Integration ist somit keine Frage pädagogischen, sondern politischen Wollens, wobei eines klar sein muss: Ein bisschen Integration gibt es nicht!
Im Augenblick ist der Gebrauch eines neuen „Integrationsvokabulariums“ festzustellen, das häufig alten Geist unter dem Deckmantel neuer Termini verbirgt. Begriffe wie „SPF-Kinder“ (Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf), „SPZ“ (Sonderpädagogisches Zentrum) und Förderdiagnostik dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die im Wesentlichen unveränderten Strukturen und Instrumente unseres Schulsystems weiterhin Selektion und Segregation betrieben wird. Wenn „geistig behinderten“ Kindern, nicht aber „Hauptschulkindern“ Zugang zur AHS gewährt wird, kann von Integration nicht gesprochen werden. Es gibt deren Beispiele mehr.
Ich stehe nicht an, die vielen kleineren und größeren Fortschritte im Bereich der Integration zu würdigen, die in unserer Schule Platz gegriffen haben. Sie können und dürfen aber nur als erste Schritte auf dem Weg zu einer Schule der Integration gesehen werden.
Perspektiven
Ein neuer Lehrplanentwurf für Pädagogische Akademien sieht (nebst den bereits gesetzten integrativen Akzenten) eine Vielzahl von integrationspädagogischen Ausbildungsinhalten in allen Studienbereichen vor. Jeder im Bereich der Lehrerbildung Tätige und jeder Studierende wird sich in Hinkunft dieser Thematik vermehrt widmen müssen.
Ich denke, dass trotz dieser integrativen Bemühungen der wichtigste Schritt im Bereich der Lehrerausbildung noch aussteht: die Abschaffung der getrennten Ausbildungsgänge für die Lehrämter an Volks-, Haupt- und Sonderschulen. In Hinkunft sollte es für die Grundstufe und die Sekundarstufe 1 nur noch zwei Ausbildungsgänge geben, in denen die Inhalte von Sonderpädagogik und Allgemeiner Pädagogik eine humanwissenschaftliche und didaktische Einheit bilden. Dieses Konzept scheint Utopie; entscheidet man sich jedoch dafür, den Weg der Integration zu beschreiten, muss es Realität werden, denn äußere trennende, schulische Organisationsstrukturen sind ein Zeichen für den Fortbestand von Selektion und Segregation und verhindern das Entstehen neuer ganzheitlicher Denkstrukturen, die die Grundlage jeglicher Arbeit im Bereich der Integration darstellen.
Lehrerbildner müssen klare Position beziehen. Die Vielzahl der Forschungsergebnisse, die alle in Richtung Integration weisen, muss Orientierungshilfe sein. Auch Martin Bubers – in ihrer Schlichtheit und Tiefe unerreichte – Aussage, dass der „Mensch am Du zum Ich“ wird, kann hierbei Hilfe sein.[25]
Ich bin der Meinung, dass alle Studierenden Bereitschaft zeigen sollten, sich mit dem komplexen Thema der Integration eingehend zu beschäftigen, da integrativer Unterricht einen wesentlichen Bestandteil ihrer künftigen Berufswirklichkeit darstellt. Keine künftige Lehrerin, kein künftiger Lehrer kann heute davon absehen, sich mit neuen pädagogischen Konzepten, neuen Formen von Schule und einem neuen Rollen- und Aufgabenverständnis auseinanderzusetzen, welch Altersstufe auch immer sie/er zu unterrichten sich entschieden hat. Sie alle werden sich – im Team – für alle Kinder ihrer Klasse verantwortlich und zuständig fühlen und, mit einem umfassendem pädagogischem Repertoire ausgestattet, gemeinsam Wege finden, dieser großen pädagogischen und menschlichen Herausforderung gerecht zu werden. Es sei ihnen nicht verschwiegen, da „die Ausbildung eines Lehrers nie zu Ende geht“, wie Gabi Brühne in ihrem subjektiven Konzept (Vgl. S. 187!) der Lehrerbildung treffend meinte.
Ich sprach bereits vor 15 Jahren in diesem Haus über Integration. Viele hörten damals zum ersten Mal davon. Integration, noch dazu von „geistig behinderten“ Kindern, schien undenkbar und dennoch wurde diese Utopie rasch (zu rasch?) pädagogische Realität.
Die österreichischen Kinder haben – vielen Prophezeiungen zum Trotz – die Schule nicht als Analphabeten abgeschlossen, sondern als Kinder mit sehr vielfältigem Wissen um die Welt und um die Vielfalt des Menschseins. Wir dürfen dennoch die Augen nicht davor verschließen, dass noch viel pädagogische Entwicklungs- und Bewusstseinsarbeit vor uns liegt, um die postaufklärerische Idee von Integration qualitätsvolle pädagogische Praxis werden zu lassen.
Immer wieder sind mir die Worte Karl Köppels Wegweiser und Mahner zugleich:
„Schulische Integration ist der Ausdruck eines Denkens, das im Grunde nicht neu ist, das aber in diesem Jahrhundert eine ganz entscheidende, wegweisende Entwicklung nahm. Dieses Denken, von dem hier die Rede ist, erlaubt uns gleichzeitig einen Blick in die Zukunft, die den drohenden Zerstörungen der Welt, von der Biosphäre bis zur Autonomie des Individuums, Hoffnung entgegenzusetzen imstande ist. Es gibt eine Reihe neuer (und alter) Konzepte, die uns die Grundlagen zur Neubetrachtung scheinbar unverrückbarer Thesen über die Welt liefern können. Im Bereich der Schule werden zum Beispiel die Begriffe des Lernens, der Intelligenz, der Vererbung, und auch der Pathologie, der Diagnostik, der Therapie und nicht zuletzt des Organisationssystems einer gründlichen Revision unterworfen werden müssen. Schüler und Lehrer werden nicht mehr das sein können, was sie bisher waren.“[26]
Literatur
Beck, J./Wellershoff, H., SinnesWandel. Die Sinne und die Dinge im Unterricht, Frankfurt/M. 1989
Bews, S., Integrativer Unterricht in der Praxis, Österr. Studienverlag 1992
Hug, R. (Hg.), Integration in der Schule der 10- bis 14Jährigen, Österr. Studienverlag 1994
Schley, W. (Hg.), Integrationsklassen in Hamburger Gesamtschulen, Hamburg 1992
Schüler, J., Integrative Schule – integrativer Unterricht. Ratgeber für Eltern und Lehrer, Hamburg 1993
Schulheft: Behinderten Integration. Geschichte eines Erfolges, Schulheft 70/1993
TAFIE (Hg): Pädagogik und Therapie ohne Aussonderung, TAFIE, Innsbruck 1990
Valtin, R. (Hg.), Gemeinsam leben – gemeinsam lernen. Arbeitskreis Grundschule, Frankfurt/Main 1991
Wocken, H. (Hg.), Integrationsklassen in Hamburg, Oberbiel 1987
[1] Feuser, G., In: Eberwein, (Hg.), Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam, Weinheim und Basel 1990, S. 171
[2] Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung, Darmstadt 1995, S. 173
[3] Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 173
[4] Wieser, I., Schule ohne Aussonderung. In: Meister-Steiner B. (Hg.), Blinder Fleck und rosarote Brille, Thaur 1989, S. 120
[5] Gemeint ist das Symposium „Lebendige Reformpädagogik“, Pädagogische Akademie des Bundes in Wien, Oktober 1996
[6] Comenius, Johann, Amos, Große Didaktik. Die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren. Hrsg. von Andreas Flitner, Stuttgart 1992
[7] Comenius, Johann, Amos, Orbis, Sensualium Pictus. Hoc est, Omnium fundamentalium in Mundo Rerum & in Vitâ Actionum, Pictura & Nomenclatura
[8] Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 14
[9] Rousseau, J., Emile oder über Erziehung. Hg. von L. Schmidt, 1978, S. 57
[10] Rousseau, J., in: Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 136
[11] Rousseau, J., in: Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 57
[12] Montessori, Maria, Die Entdeckung des Kindes, Freiburg 1969, S. 31
[13] Bintinger, G./Paulis, R., Integrativer Unterricht auf Basis der Montessori Pädagogik – ein Erfahrungsbericht. In: Haberl, Herbert (Hg.), Montessori-Pädagogik, Wien 1994, S. 178
[14] Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 149
[15] Ellger-Rüttgardt, S., Historische Aspekte der gemeinsamen Bildung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher. In: Severinsky, N. (Hg.), Gemeinsame Bildung Behinderter und Nichtbehinderter, Höbersdorf 1995, S. 17
[16] Achs, O./Krassnigg, A., Drillschule-Lernschule-Arbeitsschule, Wien 1974, S. 7
[17] Adam, E. (Hg.), Die österreichische Reformpädagogik 1918 – 1938, Klagenfurt 1981, S. 9
[18] Vgl. Bintinger, G.,/Paulis, R., in: Haberl, H. (Hg.), Integrativer Unterricht …, Wien 1994
[19] Deppe-Wolfinger, H., Integration im Widerspruch von Ökonomie, Politik und Pädagogik. In: Eberwein, H. (Hg.), Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam, Weinheim-Basel 1990, S. 20
[20] Beck, J., 2. Europ. Bildungsgespräch, Wien 1996
[21] Beck, J., Europ. Bildungsgespräch, 1996
[22] Köppel, Karl, Schulische Integration im Kontext. In: Erziehung und Unterricht, Wien 1989/5, S. 269
[23] Milani-Comparetti, Roser, L., Förderung der Normalität in der Rehabilitation – Voraussetzung für die reale Anpassung Behinderter. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft, 81/4
[24] Gemeint ist die Debatte im Herbst 1996 um die 17. SchOG-Novelle, die die Integration in den Schulen der 10 – 14 jährigen Kinder gesetzlich verankern soll. Diese Novelle tritt mit dem Schuljahr 1997/98 in Kraft.
[25] Feuser, G., Behinderte Kinder und Jugendliche …, S. 87
[26] Köppel, K., Schulische Integration, 1989, S. 269