Jenaplan-Pädagogik bietet aktuelle Konzepte in vielfältigen Formen für Lehrerinnen und Lehrer, die die Innovation von Schule als einen ihrer Aufgabenbereiche annehmen. Jenaplan-Pädagogik kann besonders durch die persönliche Begegnung und aktive Auseinandersetzung mit ihrer Praxis und den sie gestaltenden Personen die Innovation von Schule und Schulsystem anregen. In diesem Sinne möchte ich mit dem Workshop dazu anregen, die eigene Schulsituation im Hinblick auf eine mögliche Jenaplan-orientierte Schulentwicklung zu reflektieren. Ziel ist, dass die Teilnehmenden gedanklich erste konkrete Schritte entwerfen können.
Traub, Thilo: Jenaplan-orientierte Schulentwicklung. In: Eichelberger, Harald: Lebendige Reformpädagogik. Innsbruck 1997. StudienVerlag
Thilo Traub
Bausteine einer Jenaplan-orientierten Schulentwicklung – ein Workshop zum Einstieg
„Wie eine Schule entstand, sich veränderte vom normalen Unterrichtsbetrieb zur Lebensgemeinschaftsschule – aus dem Gestaltungswillen und Durchhaltevermögen eines einzelnen, getragen vom Konsens des Kollegiums, der Schüler und Eltern …“
Heinz Kumetat
Entsprechend den originären Zielen der Jenaplan-Pädagogik hat der Workshop primär die Aufgabe, zur Entwicklung bestehender Schulen in öffentlichen Schulsystemen beizutragen.
Vorausgesetzt wird eine Orientierung zu der grundlegenden anthropologischen, erziehungstheoretischen und gesellschaftspolitischen Position moderner Jenaplan-Pädagogik und ihrer Genese einschließlich der wissenschaftlichen Kritik. Die Teilnehmer haben sich bereits für eine nähere Auseinandersetzung mit Jenaplan-orientierter Schulentwicklung entschieden. Die Arbeit im Workshop – oder mit dem Text – ist auf die Ebene des Schulkonzeptes begrenzt. Die schultheoretische Begründung oder die Konkretisierung etwa einer Unterrichtsplanung kann in diesem Rahmen nicht gelingen. Die Umsetzung der Erziehungsvorstellung im Sinne Peter Petersens bedarf primär einer inneren Schulreform, die auch die Entwicklung einer pädagogischen Haltung und der Erzieherpersönlichkeit zum Ziel hat. Die inhaltliche Arbeit in diesem Workshop widmet sich dagegen eher den organisatorischen Bedingungen, die individuell genutzt werden sollen.
Ich konzentriere den Gedankengang hier zudem auf die inhaltliche Dimension von Schulentwicklung, muss aber ausdrücklich auf die ebenso entscheidende prozessuale Dimension hinweisen.[1]
Zur Typologie Jenaplan-orientierter Schulentwicklungen
Mein Interesse am Jenaplan wurde durch Dias aus niederländischen Schulen geweckt. In einer Einführungsvorlesung schilderte Professor Theodor F. Klaßen (Justus-Liebig-Universität Gießen) eindrucksvoll Szenen, die er in solchen Lebensgemeinschaftsschulen erlebt hatte. Hintergründig entwickelte er eine Theorie der Erziehung, deren didaktische Dimension er mit Petersens Definition der „Pädagogischen Situation“ und mit der Erläuterung der „Bildungsgrundformen“ konkretisierte. Hatte ich die reale Verwirklichung einer Schulidee vor Augen, die mir bereits als Schülervertreter im Gymnasium vorschwebte? Neugierig geworden nahm ich mir vor, solche Schulen selbst zu besuchen. Tatsächlich kam ich in meinen ersten Semesterferien als Lehramtsstudent erstmals in niederländische und Kölner Jenaplanschulen. Später folgten mehrwöchige Praktika hauptsächlich in der Kölner Grundschule an der Mülheimer Freiheit und ein Referendariat in der traditionsreichen Jenaplan Hauptschule Steinau-Ulmbach.
Meine Begegnung mit dem Jenaplan erscheint mir zunehmend exemplarisch für den Prozess der Jenaplan-Tradition: Der Jenaplan wird als persönlich vermittelte Schulpraxis wahrgenommen, Jenaplan-Schulen dienen als aktuelle Konzepte der individuellen Entwicklung von Schule und zwar – und das ist für mich entscheidend – für Schulen unter den Bedingungen des jeweiligen öffentlichen Schulwesens. Jenaplan-Pädagogik bietet nichts Elitäres, auch nichts Dogmatisches, sondern alltägliche Lösungsversuche für die Fragen der Schulpädagogik. Dies bedeutet zugleich, dass Jenaplan-Schulen mit aktuellen schultheoretischen Standards begründet werden müssen, denn sonst sind sie im öffentlichen Schulwesen nicht zu legitimieren. Mithin ist die „Jenaplan-Renaissance“[2] mit der Hinwendung der Administration zur Förderung „Innerer Schulreformen“ und mit der Entdeckung der hervorragenden Möglichkeiten des von Petersen entwickelten Schulkonzeptes zur Antizipation aktueller gesellschaftlicher Problemlagen zu erklären.
Persönlich vermittelte Schulpraxis war auch der entscheidende Ausgangspunkt für die „Jenaplan-Bewegung in den Niederlanden.“[3] Sie wurde von Susan Freudenthal-Lutter ins Leben gerufen, einer ausgebildeten Lehrerin, die sich als Hausfrau und Mutter von der Schule ihrer Kinder enttäuscht, der internationalen Reformpädagogik zugewendet hatte. Wesentliche reformpädagogische Gehalte fand sie in dem Büchlein „Der kleine Jena-Plan“[4] als Schulkonzept konkretisiert. Als ihre eigentliche Begegnung und damit wohl den Beginn der niederländischen Jenaplan-Bewegung beschreibt sie später das Erlebnis eines Diavortrages von Herbert Chiout. „Die in einer Jenaplan-Schule gemachten Aufnahmen sprangen dabei durch eine eigene Atmosphäre unverkennbar heraus.“[5] Es folgte der Besuch der Jenaplan-Schule auf dem Lande in Obernjesa, aus der die Bilder Chiouts stammten. Persönliche Begegnungen mit dieser Schule und ihrem Leiter inspirierten wesentlich den Beginn der umfangreichsten Jenaplan-Bewegung in Europa, zu der heute ca. 250 achtjährige Basisschools und einzelne Sekundarstufen gerechnet werden können.
Die Kölner „Peter Petersen-Schulen“ entstanden in den 80er Jahren in vergleichbarer Weise. Das Kollegium der Gemeinschaftsgrundschule „Mülheimer Freiheit“ berichtet: „Unser Kollegium hatte das (von der Schulbehörde organisierte) Glück, zwei Jenaplan-Schulen in den Niederlanden besuchen zu können: den „Tovercirkel“ in Malden und die „Laterne“ in Nijmegen. War das ein Erlebnis, diese Schulen kennen zu lernen!“[6] Von diesem Eindruck motiviert und unter dem existentiellen Druck, Formen für die Arbeit mit ausländischen Kindern finden zu müssen, befasste sich das Kollegium mit der Jenaplan-Pädagogik und innovierte die Schule grundlegend, beginnend mit der Einführung einer Präsentationsfeier und altersgemischter Lerngruppen. Es entstand die erste Petersen-Schule einer neuen Generation, zu der inzwischen ca. 20 Grundschulen in Nordrhein-Westfalen zu rechnen sind.
Zwei weitere für die skizzierten Entwicklungsprozesse wesentliche Faktoren sind hervorzuheben:
Erstens die Rolle der Administration, die Schulprofilbildungen im Sinne des Jenaplans durch das Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen und durch Zulassen von Veränderungen ermöglichte oder – wie in Köln – sogar aktiv unterstützte.
Zweitens die externe Schulberatung, für die in den Niederlanden ein professionelles System der Schulbegleitung entwickelt wurde. Die Kölner Schulen pflegten eher informelle Kontakte, besonders zur Jenaplan-Forschungsstelle in Gießen und zu dem am Beginn der Entwicklung sehr aktiven Kölner „Arbeitskreis Peter Petersen.“
Deutlich erkennbar wirken die Jenaplanschulen in den Niederlanden, in Nordrhein-Westfalen und in Hessen auf das jeweilige Schulsystem. Dies zeigen nicht nur die zahlreichen Hospitationswünsche, sondern sogar die für alle Schulen verbindlichen Richtlinien (NRW 1985), bzw. Rahmenpläne (Hessen 1995). Die Antizipation der Bedingungen im öffentlichen Schulwesen geht seit Petersen mit dem Ziel einher, die „Schule als Ganzes“ verändern zu wollen.
Aus den Erfahrungen mit Jenaplan-orientierten Schulentwicklungen wurde geradezu eine „Methode“ für die Anregungen von Schulreform durch die Schulverwaltung in Köln (Regierungsschuldirektor Werner G. Mayer) und die Jenaplan-Forschungsstelle an der Gießener Universität (Theodor F. Klaßen, Ehrenhard Skiera und später Michael Seyfarth-Stubenrauch). Zunächst begrenzt auf Nordrhein-Westfalen, später in Hessen, nach der Wende in den neuen Ländern und inzwischen europaweit, wurden und werden Seminare zum Jenaplan mit dem Konzept „Lernen durch Besuchen“ verbunden. Besonders wirksam erwiesen sich solche im Rahmen von Lehrerfortbildungen organisierte Veranstaltungen, wenn sie ganze Kollegien gemeinsam erleben konnten.
Eine langfristige und professionelle Schulentwicklungsberatung konnte in Deutschland erst seit 1992 für einige Jenaplan-Versuchsschulen in den neuen Bundesländern und in Hessen als wissenschaftliche Begleitung institutionalisiert werden. Ihre Intensität und ihre Formen sind allerdings durch die knappen personellen und finanziellen Ressourcen stark begrenzt.
Die Anregung und Unterstützung von Jenaplan-orientierten Schulentwicklungen wird inzwischen auch überregional in einem informellen Rahmen kultiviert. Unter dem organisatorischen Dach der „Gesellschaft für Jenaplan-Pädagogik in Deutschland“ entsteht ein Netzwerk, das perspektivisch europaweit allen Interessenten ermöglichen soll, sich selbständig zu informieren, Hospitationskontakte zu knüpfen sowie Referenten einzuladen und damit in der persönlichen Begegnungen mit der Jenaplan-Praxis nach Anregungen für die Innovation der eigenen Schule zu suchen. Als ein erster Schritt in das entstehende Jenaplan-Netzwerk dient die Broschüre „Jenaplan – Aktuelle Konzepte“.[7]
Die Arbeit im Workshop
Möglicher Einstieg in einen Schulentwicklungsprozess
Entsprechend den oben kurz angedeuteten Erfahrungen, gehe ich von folgenden Schritten für Jenaplan-orientierte Schulentwicklungen aus:
Jenaplan-Pädagogik bietet aktuelle Konzepte in vielfältigen Formen für Lehrerinnen und Lehrer, die die Innovation von Schule als einen ihrer Aufgabenbereiche annehmen. Jenaplan-Pädagogik kann besonders durch die persönliche Begegnung und aktive Auseinandersetzung mit ihrer Praxis und den sie gestaltenden Personen die Innovation von Schule und Schulsystem anregen. In diesem Sinne möchte ich mit dem Workshop dazu anregen, die eigene Schulsituation im Hinblick auf eine mögliche Jenaplan-orientierte Schulentwicklung zu reflektieren. Ziel ist, dass die Teilnehmenden gedanklich erste konkrete Schritte entwerfen können.
Die Hospitation in einer Jenaplanschule, wenn möglich als Kollegium oder wenigstens in einer Kollegiumsgruppe, bedeutet in der Regel den entscheidenden Impuls für eine Jenaplan-orientierte Innovation von Schule. An dem erlebten Beispiel können – nach dem Prinzip „nicht adoptieren, sondern adaptieren“[8] – mögliche erste Entwicklungsschritte für die eigene Praxis erkannt werden.
Vermutlich am effektivsten im Anschluss daran kann auch eine vertiefende, kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit der Pädagogik Petersens hilfreich für die Klärung der eigenen schultheoretischen Position sein. Unter Einbeziehung aktueller schultheoretischer Positionen dient sie auch langfristig der für Jenaplanschulen konstitutiven Reflexion und Weiterentwicklung schulischer Praxis, bezogen sowohl auf die Konzeption von Unterricht wie der ganzen Schule.
Schulentwicklung gelingt am besten als vom Kollegium getragene Reform von unten. Langfristig bedürfen die komplexen Schulentwicklungsprozesse in der Regel aber auch externer Beratung. Prozess-Aspekte sind für das Gelingen von Innovationen ebenso bedeutsam wie die inhaltlichen, können aber hier nicht vertieft werden.
Planspiele zur Schulentwicklung
Kern des Workshops sind „Planspiele zur Schulentwicklung“. Jede Arbeitsgruppe soll sich auf einen „Jenaplan-Baustein“ konzentrieren. Das Material besteht aus einem knappen, inhaltlich informierenden Text und vorgeschlagenen Fragestellungen für die Gruppenarbeit. Folgende Einzelthemen habe ich für die Bausteine ausgewählt:
- Stammgruppen
- Freie Gruppenarbeit in einem rhythmischen Wochenarbeitsplan
- Beurteilen und Beraten
- Präsentation und Feier
- Schulwohnstube
Die Themen sind einerseits charakteristisch für das Schulkonzept Jenaplan und erfassen zentrale Aspekte – vielleicht sogar die zentralen Aspekte – einer reformpädagogischen Schule. Jedes Schulkonzept, besonders der Jenaplan, lebt dabei vom Zusammenhang:
Der Einzelne braucht in der heterogenen Gruppe das freie Arbeiten im themenorientierten Kernbereich des Unterrichts, um interessen- und anspruchsorientiert lernen zu können. Entsprechende Zeiträume sind durch die Umgestaltung des 45-Minuten-Stundenplans in rhythmische Wochenarbeitspläne zu schaffen. Die vielfältigen Persönlichkeitsentwicklungen und Lernprozesse erfordern komplexe Formen der Beurteilung und Beratung. Ziffernzensuren sind ein – leider auch in manchen Jenaplanschulen vorhandener – Systemfehler. Vielfältige Arbeitsergebnisse provozieren eine Präsentationskultur. Die in einer „Buchschule“ eher als aufgesetzte Veranstaltung erscheinenden Präsentationsfeiern sind für die Gemeinschaft und Leistungskultur der Jenaplanschulen unverzichtbar. Die skizzierten Unterrichtsformen sind in kahlen „Belehrungszellen“ nicht möglich, sondern setzen selbstverständlich eine Gestaltung anregungsreicher Gruppenräume und eventuell die Einrichtung zentraler Mediotheken voraus.
Die Arbeit an einem einzelnen der genannten Elemente ist als konkret leistbarer Einstieg in eine umfassende Innovation von Schule und Unterricht geeignet. In dem Workshop sollen die Gruppenarbeiten deshalb auf einen einzelnen Baustein begrenzt werden. Alle Gruppen haben aber die Aufgabe, Vorstellungen zu ersten Schritten einer möglichen Jenaplan-orientieren Schulentwicklung zu entwerfen und im Plenum zu präsentieren, so dass alle Teilnehmer auch Anregungen zu den anderen „Bausteinen“ erhalten und die Arbeit in der Arbeitsgruppe im Zusammenhang sehen können.
Die Arbeitsvorgaben für die Workshops
Der Workshop geht von der These aus, dass es einen typischen Verlauf Jenaplan-orientierter Schulentwicklungen gibt.
Anhand einiger Dias sollen die Teilnehmer/innen Eindrücke von der Jenaplan-Praxis bekommen.
Kern des Workshops sind „Planspiele zur Schulentwicklung“. Jede Arbeitsgruppe soll sich auf einen „Jenaplan-Baustein“ konzentrieren und versuchen, sich einen ersten Schritt für eine Jenaplan-orientierte Entwicklung ihres Schulkonzeptes oder ihres Unterrichtskonzeptes vorzustellen.
Das Material besteht aus einem knappen, inhaltlich informierenden Text für jeden der fünf Themenbereiche (vgl. unten, a)) und der jeweils selben vorgeschlagenen Fragestellungen (vgl. unten, b)) für die Gruppenarbeit. Folgende Einzelthemen habe ich für die Bausteine ausgewählt:
Eine Präsentation soll den Workshop abschließen.
Die einführenden Texte zu den Themen der arbeitsteiligen Gruppenaufgaben
1. Stammgruppen
Erste Informationen zur Stammgruppe im Jenaplan
Petersen lehnt die Jahrgangsklasse und die Fiktion einer homogenen Lerngruppe entschieden ab und bildet drei Schuljahrgänge umfassende, also bewusst heterogene Stammgruppen. Dieses Prinzip wird oft als der Kern des Jenaplans aufgefasst.
Petersen argumentiert gegen die Jahrgangsklasse
Sie ist Ursache für das Sitzenbleiberelend.
Die Fiktion einer homogenen Lerngruppe erscheint „sozial bedenklich“, weil sie eine Rangordnung nach Schulbegabung, bzw. Schulleistung fördert.
Mit der Jahrgangsklasse verbunden sieht er die unterrichtlichen Prinzipien der „Alten Schule“.
Petersen argumentiert für Stammgruppen
Miteinander leben und voneinander lernen werden natürliche Elemente des Unterrichts.
Der Einzelne und die Gemeinschaft kommen gleichermaßen zum Zuge.
Kooperation wird betont, Konkurrenz abgebaut.
Es entsteht eine Tradition im Schulleben, da zum Schuljahresende nur ein Drittel die Gruppe wechselt.
Übergänge finden erst nach drei Jahren statt, aber auch ein vierjähriges Verbleiben ist ohne Gruppenwechsel möglich.
Jedes Kind kann seine Lernfortschritte auch im Vergleich zu Jüngeren erfahren und sieht seine Perspektive in den Älteren.
Die kleinen Unterschiede in der Jahrgangsgruppe verlieren an Bedeutung.
„Freie Gruppenarbeiten“ werden zum Kern eines themenorientierten Unterrichts.
Für Erarbeitung von systematischem Wissen, die Einführung von Arbeitstechniken und besondere Neigungen der Schüler werden ergänzende, auch am Leistungsniveau orientierte Kursgruppen gebildet.
Leben und Lernen in der Stammgruppe sind vielfältig in das Schulleben eingebunden.
Zu ergänzenden und aktuellen Positionen
In einer Risikogesellschaft, die mit der Gefahr von Vereinzelung kämpft, gewinnt die Konzeption einer Schule enorme Attraktivität, für die das Erleben der Vielfalt von Individualitäten als Bereicherung erfahrbarer Gemeinschaft konstitutiv ist.
Die Stammgruppe bietet den Heranwachsenden Beziehungsvielfalt, gute Möglichkeiten der Orientierung und verantwortungsvolle Aufgaben.
Die gesellschaftliche Aufgabe, Menschen mit Behinderungen, Angehörige ethnischer Minderheiten und sozial Benachteiligte integrativ zu erziehen, erfordert notwendigerweise Unterricht in heterogenen Gruppen. Die Jahrgangsklasse hat damit ihre Legitimation verloren.
Team-Teaching in vielfältigen Gruppen ist traditionellem Unterricht mit homogenen Kleingruppen vorzuziehen.
Die ideale, drei Schuljahrgänge umfassende Stammgruppe lässt sich in vierjährigen Systemen nicht umsetzen. Dort haben sich verschiedene Organisationsformen bewährt.
Kleine Schulen können erhalten, wechselnde Jahrgangsbreiten besser ausgeglichen werden.
Grundsätzlich ist es auch möglich, Jahrgangsgruppen bewusst als heterogene Lerngruppen zu führen und wesentliche Jenaplan-Gedanken umzusetzen.
2. Freie Gruppenarbeit in einem rhythmischen Wochenarbeitsplan
Erste Informationen zur freien Gruppenarbeit im Jenaplan
Mit der Organisation des Unterrichts in einem „Wochenrhythmus“ überwindet Petersen den „Fetzenstundenplan“ der „Alten Schule“. Das Denken „vom Kinde aus“[9] fordert Arbeitsphasen, die einem individuellen Arbeitsrhythmus der Kinder Raum geben. Kursstunden liegen möglichst am Anfang des Vormittags, der nur von einer pädagogisch gestalteten Pausenzeit unterbrochen wird. Die Verbindung von Leben und Lernen wird besonders durch die Bildung von Lernbereichen statt Fächern ermöglicht.
Im Wochenrhythmus bildet der Kernunterricht den zentralen Bereich der Schularbeit in der Stammgruppe. In der freien Gruppenarbeit kann sich das „freie Kräftespiel der Gruppe“ entfalten:
Im Kreisgespräch wird gemeinsam eine „Planlegung der Arbeit“ entwickelt. Auf das gemeinsame (Rahmen-) Thema oder Vorhaben bezogen werden eigene Arbeiten angefertigt. Die Präsentation von Arbeitsergebnissen findet regelmäßig im Kreis in der Stammgruppe und in den Schul- oder Stufenfeiern statt. Die freie Gruppenarbeit ist eine in den Unterrichtsalltag transformierte Form des Projektunterrichts im Sinne Deweys. Konkrete Lebensprobleme und unmittelbare Erfahrung sind in der Regel Ausgangspunkte der gedanklichen Arbeit. Außerschulische Lernorte werden regelmäßig genutzt.
Zu ergänzenden und aktuellen Positionen
Sachunterricht (Weltorientierung) als zentraler Lernbereich heutiger Grundschulen entspricht dem Kernunterricht im Jenaplan. Anteile des muttersprachlichen Unterrichts werden einbezogen.
Durch Epochalisierung und Bildung von Lernbereichen (z.B. Natur/Umwelt/Technik) kann eine entsprechende Arbeitsweise in der Sekundarstufe weitergeführt werden.
Schlüsselqualifikationen können in themenorientierter und weitgehend eigenverantwortlicher Arbeit am besten entwickelt werden.
Projektwochen sind als Einzelveranstaltungen erfolgreich. Durch die Einführung freier Gruppenarbeit in einem zentralen Lernbereich kann die Arbeit an Projekten zur selbstverständlichen Praxis werden.
Zu alternativen Organisationsformen
Die themenorientierte Arbeit wird in einem Wochenarbeitsplan vorstrukturiert. Zur Bearbeitung der Fragestellungen wird wenigstens eine Stunde pro Tag aus der Stundentafel verwendet.
Aus verschiedenen Fächern wird ein Lernbereich gebildet, der auch kooperativ von mehreren Lehrenden unterrichtet werden kann. (z.B. Sachunterricht/Deutsch, Natur/Umwelt/Technik, Weltorientierung, expressive Fächer, …)
Die Schüler erhalten weitgehend vorstrukturiertes Material – im Extremfall als Lernprogramm gestaltet, das sie individuell und mit Partnern bearbeiten. Formen der Selbstkontrolle werden kultiviert.
Die Schüler finden selbst Materialien und arbeiten möglichst weitgehend eigenverantwortlich. Es ist möglich, dass sie auch die Fragestellungen, Arbeits- und Präsentationsformen selbst finden.
Jede Gruppe (Klasse) verfügt über eine reichhaltige Ausstattung. Eine Klassenbibliothek ersetzt die Lehrbücher. Themenbezogen wird Material aus der Sammlung der Schule und von Schülern und Lehrern ergänzt.
Die Schule richtet zentral eine Materialsammlung, eine Mediothek, einen Schulgarten usw. ein.
3. Beurteilen und Beraten
Erste Informationen zu Beurteilen und Beraten im Jenaplan
„Leistungskultur, nicht Leistungskult!“ formuliert Petersen programmatisch. Leistungsbereitschaft sieht er als dem Menschen gegebene Grundlage für Lernen einerseits und pädagogisches Handeln andererseits. Er kritisiert das Zensuren-, Prüfungs- und Versetzungssystem der Alten Schule, das die Leistung herabwürdige und „schließlich in das ausgeklügelte System der Strafen“ einbeziehe. Leistung sei so selbstverständlich, „dass das nervöse, vordringliche Suchen“ danach „zu einem Krampf, zu einer Krankheit geworden ist.“[10] Weitere Thesen Petersens sind:
Ziffernnoten fördern eine soziale „Rangordnung nach Schulleistung“. Sie lenken die Lernmotivation von der Sache ab.
Erziehung vollzieht sich als ein subjektiv verantworteter, aktiver Prozeß. Die Fähigkeit des Menschen, zu sich selbst Stellung zu nehmen, muss gerade in Bezug auf die eigenen Leistungen entwickelt werden. Pädagogische Beurteilungen sind daher nur notwendig, wenn das Kind von sich aus nach Beurteilung verlangt, d.h. wenn die Eigenbewertung dem Kinde nicht genügt und eine Fremdbewertung durch den Lehrer dem Kind in seiner Entwicklung helfen kann. Hilfreich für die Einordnung des eigenen Leistungsstandes und als Ansporn sind die ritualisierten Formen der Präsentation von Arbeitsergebnissen und die damit verbundene Rückmeldung der Mitschüler.
In der Universitätsschule wurden ausführliche „subjektive“ und „objektive Berichte“ geschrieben:
„Am Schlusse jedes Jahres wird eine Charakteristik eines jeden Kindes angefertigt. Ich unterscheide dabei zwischen dem objektiven und dem subjektiven Bericht. Für die objektive Charakteristik tragen alle Lehrer, die mit dem Kinde zu tun hatten, ihre Beobachtungen und Urteile über das Kind ein und stellen sie den Eltern zur Einsicht, zu kritischen Stellungnahme und zur schriftlichen Gegenäußerung frei. Den Eltern wird eingeschärft, zu bedenken, dass alles, was dort niedergelegt ist, für sie und nicht für ihre Kinder bestimmt sei. Der objektive Bericht soll dazu dienen, die Eigenart des Kindes, seine Begabungen, seine guten und schlechten Neigungen so vielseitig wie nur irgend möglich im rechten Lichte erkennen zu lassen, damit die beste gemeinsame Erziehungsarbeit an ihm daheim und in der Schule in gleicher Front und nach gleichen Grundsätzen einsetzten kann.
Auf der Grundlage des objektiven verfasst jeder Gruppenleiter den subjektiven Bericht, dazu bestimmt, dem Kind in die Hand gegeben und von jedermann gelesen zu werden, dem Eltern und Kinder ihn geben wollen. Es ist die Aufgabe des Lehrers, nur das dem Schüler zu sagen, was nach seiner besten Überzeugung für dieses Kind das Beste ist, was die reinste erzieherische Wirkung auszuüben imstande sein mag. So muss manches verschwiegen, anderes milder oder stärker gesagt werden als im objektiven Bericht. Übrigens wissen die meisten Schüler um die objektiven Berichte, ohne dass die Eltern ihnen – von uns gebeten und belehrt – daraus erzählen sollen. Sie wissen ja auch, dass mündlich viel zwischen Eltern und Lehrern über sie gesprochen wird, ohne dass es das Vertrauensverhältnis zerstörte. Die erste Charakteristik wird am Ende des 3. Schuljahres ausgestellt; auch das dient dazu, in den so entscheidungsvollen ersten Schuljahren eine ruhige Entwicklung des Kindes zu gewährleisten.“[11]
Offenbar will Petersen die Eltern umfassend informieren und schulische Beurteilung prinzipiell für ihre Kritik öffnen. Den Kindern will er manche „objektive“ Information nicht zumuten. Er meint, dies mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern vereinbaren zu können. Petersen löst damit das Problem verbaler Zeugnisberichte, deren ausschließlich positiven Formulierungen Gefahr laufen, Eltern wichtige Informationen vorzuenthalten.
In dieser Bewertungspraxis werden die „menschlichen Werte“ gegenüber der Schulleistung betont und damit die Gemeinschaft durch Beurteilung nicht gefährdet, sondern eher gestützt. Zugleich wird die Erziehungsgemeinschaft mit den Eltern gesucht und eine kindgemäße Schullaufbahnberatung erleichtert.
Zu ergänzenden und aktuellen Positionen
Das positive Erleben der eigenen Leistung ist jedem Menschen möglich und konstitutiv für die Entwicklung der Persönlichkeit. Jeder Mensch hat, unabhängig vom Niveau seiner Leistung, ein Recht auf soziale Anerkennung in der Schule.
Die Schule ist eine gesellschaftliche Institution. Die Menschen sollen mit den Ungewissheiten der „Risikogesellschaft“ leben und die gegebenen individuellen Möglichkeiten nutzen lernen. Die Förderung schulischer Leistung hat zudem das weitergehende Ziel, die Menschen anzuregen, die Entwicklung einer humanen, friedvollen und ökologischen Weltgesellschaft mitzugestalten.
Schule steht unausweichlich in einem Spannungsverhältnis gesellschaftlicher und pädagogischer Funktionen. Schule antizipiert die gesellschaftlichen Bedingungen, verfolgt aber primär das pädagogische Ziel der Förderung und Beratung von Schülern im Prozess der Persönlichkeitsbildung, auch in Zusammenarbeit mit den Eltern.
Reformpädagogische Unterrichtsformen ermöglichen selbstverantwortliches Lernen in Zusammenhängen und sind damit geeignet, die geforderten „Schlüsselqualifikationen“ zu entwickeln. Im Widerspruch zum ökonomischen Prinzip der „Verzweckung“ steht weiterhin die Aufgabe der Schule, Kritikfähigkeit in allen Lebensbereichen zu ermöglichen und die Tatsache, dass ökonomisches Denken in Erziehungssituationen häufig nicht angemessen ist.
Der Lehrer fordert und fördert als partnerschaftlicher Lernwegbegleiter die Leistung der einzelnen Schüler und der gesamten Lerngruppe. Leistung ist als individueller Lernfortschritt zu definieren. Die Begleitung der Arbeitsprozesse steht im Zentrum der pädagogischen Aufmerksamkeit. Vorrangige Aufgabe des Lehrers ist die Förderung, nicht das Messen und Beurteilen von Leistung.
Leistungsbeurteilung ist immer ein Aspekt von Beratung und darf nicht mit Sanktionen oder sozialer Anerkennung in Verbindung gebracht werden.
Zu alternativen Formen
Es werden verbale Berichte angefertigt
Verbale Zeugnisse können in besonderer Weise Ausdruck eines entwickelten pädagogischen Verhältnisses sein: Jeder Lehrer muss seine sprachliche Form finden, in dem Bewusstsein, dass Sprache die Quelle von Missverständnissen ist. Hier werden daher keine Beispiele, sondern nur Prinzipien angegeben. Die Beratung der objektiven Berichte beginnt als pädagogischer Dialog unter den Lehrenden. Er ist auch mit den Eltern als offener Austausch möglichst umfassender Informationen zu gestalten. Übergänge (Versetzungen) können in einem intensiven Beratungsverhältnis in der Regel einvernehmlich beschlossen werden. Der subjektive Bericht ordnet sich als ein Beitrag in den Beratungsprozess von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern ein. Seine Formulierungen werden grundsätzlich im Gespräch erläutert. Er muss auf die wesentlichsten Aspekte der Lernentwicklung beschränkt werden und Perspektiven aufzeigen. Der subjektive Bericht kann von den Kindern und Jugendlichen auch im Verwandten- und Bekanntenkreis gezeigt werden. Er ist Bestandteil der Schulakte.
Notwendig ist eine stete qualitative Weiterentwicklung der Lernentwicklungsberichte. Die von Petersen vorgeschlagene Trennung in subjektive und objektive Berichte gibt es meines Wissens heute nicht mehr.
Es werden Ziffernnoten und verbale Berichte angefertigt
Entscheidend ist in solchen Verfahren die Gestaltung der Zeugnisausgabe als Beratungssituation mit Eltern und Kindern. Die Ziffernnoten erhalten eher „objektive“, die Verbalbeurteilung eher „subjektive“ Funktion. In Jena ist Kindern und Eltern je eine Seite im „Zeugnisheft“ zur persönlichen Stellungnahme vorbehalten.
Es werden Ziffernnoten erteilt
Ziffernnoten, die aber in einer persönlichen Beratung mit Eltern und Kindern erläutert und perspektivisch interpretiert werden.
4. Präsentation und Feier
Erste Informationen zu Präsentation und Feier im Jenaplan
Kein Schulentwurf betont den Wert der Feier so wie der Jenaplan.
„Fest und Feier führen den Menschen – ihrem Sinn nach – zur Verinnerlichung, zur Kontemplation, zur Muse in der Weise, dass er im Erlebnis der Gemeinschaft sich „im umgreifenden Sein aufgehoben erlebt“. Fest und Feier führen die Menschen zueinander, bedingen und stiften Gemeinschaft, erfordern in höchstem Maße persönliche Mitteilung. […] Den pädagogischen Wert der Feier sieht Petersen u.a. darin, dass sie den Menschen in Haltung und Stimmung innerlich frei macht, dass er durch sie aufgeschlossen wird, „gut zu sein“. Sofern sie nur lebensnah, ungezwungen und echt ist, enthülle „sich der innerste Kern des Menschseins, die Güte“. Das besagt, dass der anthropologisch-pädagogische Sinn und Zweck der Feier dann verfehlt wird, wenn sie befohlen, erzwungen, lediglich verordnet wird, wenn die sinnvolle Einordnung in das gesamte Schulleben als rhythmisierendes und von allen getragenes gemeinschaftliches Element nicht gelingt.“[12]
Die Feier wird von Petersen als eine von vier Bildungsgrundformen genannt, die dem Menschen spezifische Erfahrungen ermöglicht und deshalb notwendigerweise das Gespräch, das Spiel und die Arbeit im Schulleben ergänzen muss. Sie steht durch Vorbereitung und Wirkung im Zusammenhang mit der Schularbeit und bildet regelmäßige Höhepunkte im Lebensrhythmus einer Jenaplan-Schule.
Der Wochenrhythmus beginnt und endet bei Petersen mit einer Gemeinschaftsform, die in der Regel den Charakter einer Feier hat. Als besondere Feiern nennt er die Schulaufnahme, Geburtstage, Weihnachten, Karneval, Schulgeburtstag und die Arbeit an einem Unterrichtsthema und die halbjährliche „pädagogische Rückschau“.
Zu ergänzenden und aktuellen Positionen
„Feiern bedeutet Emotionen aus erster Hand erfahren“ (Seitz), es geht um tief empfundene Freude, nicht um oberflächliches Vergnügen.
Friedliches und produktives Zusammensein mit anderen ist ein wirkungsvolles Mittel gegen Aggression und Gewalt.
Erst mit der Präsentation des Arbeitsergebnisses wird der Lernprozess sinnvoll vollendet.
Zu alternativen Formen
Petersen unterscheidet
- die vom Lehrer dargebotene Feier,
- die vom Lehrer geleitete Feier,
- die vom Lehrer durchformte Feier,
- die von den Schülern selbständig gestaltete Feier.
Einzelne Gruppen oder Teile einer Schule können z.B. folgende Formen vereinbaren, die auch als Einstieg in eine Feierkultur sinnvoll sind
- Kurzfeiern in der Gruppe (z.B. Geburtstag, Adventskreis, kleine Präsentationen);
- Präsentationsfeiern mit einer Partnergruppe, in der Stufe oder einer anderen Teilgruppe der Schule;
- Gruppenfeiern mit den Eltern.
Auch Schulfeiern können in verschiedener Form institutionalisiert werden, wie die folgenden Beispiele zeigen
Wöchentlich oder vierzehntägig stellt jede Gruppe einen kurzen Beitrag vor. Damit das Programm abwechslungsreich wird, werden inhaltliche Bereiche den Gruppen (Klassen) zur Erarbeitung zugelost (z.B. Musik, Kunst, Sprache, Weißt Du schon …?, Joker, …). Die Erarbeitung wird als kleines Projekt, evtl. auch von einer Teilgruppe in der Freien Arbeit übernommen. Die Feier selbst wird von einem Lehrer geleitet und dauert nicht länger als eine Stunde. Abgesehen von einem gemeinsamen Anfang und Schluss (z.B. Lied singen) werden die Einzelbeiträge von den Kindern gestaltet.[13]
Monatlich wird eine große Feier gestaltet, die bis zu 2 Stunden dauern kann. Sie besteht entweder aus Präsentationen, die aus der Unterrichtsarbeit entstehen („Pädagogische Rückschau“), oder es werden einzelne Gruppen (Klassen) beauftragt, die Gestaltung der Feier im Ganzen als Unterrichtsprojekt zu übernehmen. Die Erwachsenen sind für den organisatorischen Rahmen verantwortlich. Als gemeinschaftliche Form kann zum Beispiel ein kurzes Vorstellen der Geburtstagskinder und das Singen eines entsprechenden Liedes ritualisiert werden.
5. Schulwohnstube
Erste Informationen zur Schulwohnstube im Jenaplan
Petersen gestaltet einen anregungsreichen Lernraum für Kinder. Gruppentische, Bewegungsraum und vielfältige Arbeitsmittel in klarer Anordnung erscheinen geradezu als Bedingung für das „gruppenunterrichtliche Verfahren“ im Sinne des Jenaplans und für individualisierte Erarbeitung von Lehrgängen (Kursen). Petersen experimentiert mit verschiedenen Tischgruppengrößen, um den Kindern zu ermöglichen, ihrem Bedürfnis gemäße Arbeitsgruppen zu bilden.
Der Charakter der Schulwohnstube ist untrennbar mit Petersens Idee der Gemeinschaft verbunden:
„Der Raum werde zu einer „Schulwohnstube“. Darum gehört in ihn keine Hobelbank, kein Sandkasten u. dgl. Und zwar nicht nur wegen der hygienischen Bedenken und störenden Arbeitsgeräusche, sondern weil das Ethos in einer Werkstatt ein anderes ist als das in einer Wohnstube, auch, als das einer Schulwohnstube sein soll. Es ist dies ein Unterschied wie zwischen einer zusammenarbeitenden Gesellschaft und einer zusammenlebenden Gemeinschaft. Mag die Werkstatt soziale Gesinnung in einem bescheidenen Maße mitbewirken, ihr Anteil an persönlichkeitsbildender Kraft ist gering. Den Charakter einer Wohnstube aber verleihen dem Raume ganz besonders der singende Vogel, die tickende Uhr, der Blumenschmuck, der Wandschmuck, den die Kinder selber herstellten. Es bindet Kinder vor allem innerlich stark an alles, was sie an eigenem Besitz, an ihren wertvollen kleinen und großen Schätzen dort aufstellen dürfen, sei es auch nur vorübergehend.“[14]
Die gestaltete Schulwohnstube ist ausdrücklich mit Petersens Vorstellung verknüpft, Erziehung vollziehe sich in und durch die Gemeinschaft. Petersen faßt zusammen:
„So bildet sich in der Schulwohnstube und eben durch sie eine Arbeitsgemeinschaft, in der alle individuellen Kräfte, die sozialen, sittlichen und intellektuellen, bestens genährt werden, keine in ihrer Eigenart verkümmert, und doch sind alle in der Gruppe gebunden und sind in ein System ineinander spielender, zueinander hindrängender, sich ergänzender und darum auch einander fördernder, liebender Kräfte aufblühender junger Menschen.“[15]
Funktionsbereiche im Sinne der Ateliers bei Freinet sind damit nicht ausgeschlossen. Vermieden werden soll aber nach Petersen der rein funktionale Charakter einer zur Produktion bestimmten Werkstatt.
Es gibt keine spezifischen Arbeitsmittel für Jenaplan-Schulen.
Petersen stellt auch seine Pädagogik der Arbeitsmittel unter die Idee der Erziehung und reflektiert die Möglichkeiten und Grenzen des Arbeitsmitteleinsatzes sehr praxisbezogen. Besonders in der Möglichkeit, Kindern selbständigen Wissenserwerb in einer Form zwischen Spiel und Arbeit zu ermöglichen, sieht Petersen eine wichtige Funktion von Arbeitsmitteln:
„Die Arbeitsmittel nutzen also außerordentlich geschickt den Trieb des Schülers zum Selber-Schaffen aus. Verbinden wir nun diese Arbeit mit der Bewegungsfreiheit einer „Schulwohnstube“ nach dem Jenaplan, so fühlt sich unser Schüler in einer echten Lebenssituation und vergißt über seiner Arbeit die besondere Atmosphäre der Schule.“[16]
(Zu ergänzenden und aktuellen Positionen: Ein Beispiel für eine Raumgestaltung wurde gezeigt).
Vorgeschlagene Fragestellungen
Wie schon oben erwähnt, waren die abschließend vorgeschlagenen Fragestellungen zu den Texten der fünf Arbeitsgruppen jeweils dieselben.
Zur Ausgangssituation
Welche Problemlage(n) in der/Ihrer Schulpraxis wollen Sie bearbeiten?
Welche Erwartungen/Ziele verbinden Sie mit der Gestaltung einer Schulwohnstube?
Sehen Sie schulrechtliche/schulorganisatorische Probleme bei einer möglichen Umsetzung?
Zu denkbaren Perspektiven
Sehen sie Ansatzpunkte zur Veränderung der Organisation in Ihrer Schule oder streben Sie (zunächst) nur eine Veränderung Ihres Unterrichts an?
Welche Veränderungen in Ihrem Unterrichtskonzept oder dem Profil der Schule erwarten Sie?
Welche möglichen Veränderungen bereiten Ihnen persönlich Sorgen?
Zu möglicher Kooperation
Welche Personen in Ihrer Schule könnten Sie in eine gemeinsame Arbeit einbeziehen?
Gibt es Möglichkeiten, das Kollegium in einen Entwicklungsprozess einzubeziehen?
Gibt es Möglichkeiten, die Eltern in einen Entwicklungsprozess einzubeziehen?
Sehen Sie Widerstände und eventuelle Lösungsansätze?
Welche Ansprechpartner kommen für die Planung von Hospitationskontakten, schulinternen Fortbildungen usw. in Frage?
Zu dem Ergebnis der heutigen Arbeit
Können Sie sich schon einen ersten Schritt für eine Jenaplan-orientierte Schulentwicklung in Ihrem konkreten Fall vorstellen?
Gedanken nach dem Workshop
Der Anspruch des Workshops, an einem Nachmittag arbeitsteilig in Gruppen Bausteine einer Jenaplan-orientierten Schulentwicklung erarbeiten zu wollen, auf je verschiedene Situationen zu beziehen und schließlich im Rahmen einer Präsentation Zusammenhänge im Schulkonzept Jenaplan zu verdeutlichen, konnte nicht eingelöst werden. Jeder einzelne Baustein ist kennzeichnend für das Gesamtkonzept gewählt, wenn er zentrale und damit kontrovers zu diskutierende Aspekte von Schule und Schulentwicklung anspricht. Die Teilnehmer/innen am Workshop kamen aus verschiedenen Schulformen, unterschiedlichen Funktionen, hatten verschiedene Vorkenntnisse und Anliegen. Kennzeichnend ist dabei das primäre Bedürfnis gewesen, zu erfahren, wie „die Jenaplan-Schulen funktionieren“. Genau gegen diesen Zugang sperrt sich aber das Konzept Jenaplan als „Ausgangsform“ für eine enorme Vielfalt an konkret gewordenen „Aktuellen Konzepten“ für Schulen.
Dem Informations- und Diskussionsbedürfnis konnte wegen der Kürze der Zeit nicht annähernd entsprochen werden. Viele Fragen mussten offen bleiben. Tröstlich, dass so viele Fragen formuliert wurden und damit potentielle Ausgangspunkte für Schulentwicklung benannt werden konnten. So bleibt der Weg offen, die oben ausgeführten Schritte einer Jenaplan-orientierten Schulentwicklung zu gehen.
Als besonders gelungen habe ich die spontan entstandene zweite Form des Workshops empfunden: Im Kern stellte Gerard Brinkmann, Lehrer an der Jenaplan-Schule „De Imenhof“ in Losser (Niederlande), die Arbeit seiner Schule und den Unterricht in dem Lernbereich „Weltorientierung“ vor. Er verdeutlichte dabei einerseits die Strukturmerkmale des Schulkonzeptes und ermöglichte andererseits eine exemplarische Selbsterfahrung weltorientierenden Lernens.
Meine Thesen zu einer Typologie Jenaplan-orientierter Schulentwicklungen konnten als Hinweise auf den Prozesscharakter schulischer Innovation eingebracht werden. Dieser ohne jede Vorabsprache gelungene Nachmittag war der bessere „erste Schritt“, weil er zu einer „persönlichen Begegnung“ geradezu „nötigte“. Es zeigte sich wieder, dass Lehrer/innen am besten von Lehrer/innen lernen können und akademisch erdachte Vermittlungsformen im Zweifelsfall zweite Wahl bleiben.
Literatur
Chiout, H., Schulversuche in der Bundesrepublik Deutschland, Dortmund 1955
Klaßen, Theodor F., Die Jenaplan-Renaissance in der Bundesrepublik Deutschland – Anmerkungen zur Problematik der inneren Schulreform. In: Schmutzer (Hg.), Reformpädagogik in Jena. Peter Petersens Werk und andere reformpädagogische Bestrebungen damals und heute, Universitätsverlag Jena 1991
Miller, Reinhold, Schilf-Wanderung. Wegweiser für die praktische Arbeit in der schulinternen Lehrerfortbildung, Weinheim/ Basel 1990
Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, Langensalza 1927, (56.-60. Aufl. Weinheim/Basel 1980)
Petersen, Peter, Führungslehre des Unterrichts, Langensalza 1937, (Neuaufl. nach der 10. Aufl. Weinheim 1984)
Rolff, H.-G., Wandel durch Selbstorganisation, Weinheim/Basel 1993
Skiera, Ehrenhard (Hg.), Schule ohne Klassen. Gemeinsam lernen und leben. Das Beispiel Jenaplan, Heinsberg 1983
Skiera, Ehrenhard, Die Jena-Plan-Bewegung in den Niederlanden, Weinheim/Basel 1982
Traub, Thilo, (Hg.), Jenaplan. Aktuelle Konzepte, Universität Gießen 1995/96
Jenaplan-Zeitschriften
Forum Jenaplan. Zeitschrift der Gesellschaft für Jenaplan-Pädagogik in Deutschland e.V. Erscheint ca. vierteljährlich als Info-Markt für Mitglieder (Nr. 9 im Juli 1996). Geschäftsstelle an der Jenaplan-Forschungsstelle (Anschrift s.u.)
Kinderleben. Zeitschrift der Jenaplan-Initiative Bayern e.V. Erscheint als Themenheft. Abonnement möglich. Bisher erschienen: Wochenplanarbeit (Mai 94); Feier (Mai 95) Spiel (November 95); Gespräch (Dezember 95); Leistung (Mai 96); Stammgruppen ( vorauss. Ende 96). Geschäftsstelle, Gabi Reither, Ziegelweg 1, 90610 Winkelhaid, T. 09187 / 42926
[1] Rolff, H.-G., Wandel durch Selbstorganisation. Weinheim/Basel 1993; Osswald, E., gemeinsam statt einsam. Arbeitsplatzbezogene Lehrer/innenfortbildung. Kriens (2)1995; Miller, R., Schilf-Wanderung. Wegweiser für die praktische Arbeit in der schulinternen Lehrerfortbildung, Weinheim/ Basel 1990
[2] Klaßen, Theodor, F., Die Jenaplan-Renaissance in der Bundesrepublik Deutschland – Anmerkungen zur Problematik der inneren Schulreform. In: Schmutzer (Hg.), Reformpädagogik in Jena. Peter Petersens Werk und andere reformpädagogische Bestrebungen damals und heute, Jena 1991
[3] Skiera, Ehrenhard, Die Jena-Plan-Bewegung in den Niederlanden, Weinheim/Basel 1982
[4] Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, Langensalza 1927, 56.-60. Aufl., Weinheim/Basel 1980
[5] Skiera, Ehrenhard (Hg.), Schule ohne Klassen. Gemeinsam lernen und leben. Das Beispiel Jenaplan, Heinsberg 1983, S. 158
[6] Skiera Ehrenhard, Schule ohne Klassen, S. 153
[7] Traub, Thilo (Hg.), Jenaplan. Aktuelle Konzepte, Universität Gießen 1995/96
[8] Rolff, H.-G., Wandel durch Selbstorganisation, Weinheim/Basel 1993
[9] Vgl. Key, Ellen, Das Jahrhundert des Kindes, Weinheim und Basel 1991
[10] Petersen, Peter, Führungslehre des Unterrichts. Langensalza 1937, Neuaufl. nach der 10. Aufl., Weinheim 1984, S. 140
[11] Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, S. 64f.
[12] Skiera, Ehrenhard, Die Jena-Plan-Bewegung in den Niederlanden, S. 72, (mit Hinweis auf Peter Petersen)
[13] Vgl. Mülheimer Freiheit, Köln. In: Hänsel 1995
[14] Petersen, Peter, Der kleine Jenaplan, S. 32
[15] Petersen, Peter, Führungslehre des Unterrichts, S. 66
[16] Petersen, Peter, Führungslehre des Unterrichts, S. 197